„Einen gesehen, 100 im Busch“

Waschbären machen sich im Land breit – Auch in der Region ist der kleinste Bär aktiv – Häuser und Schuppen abdichten


Sie sind echte Nervensägen: Sie randalieren nachts auf Dachböden, sie fressen Haustieren das Futter weg, werfen Mülltonnen um, plündern Gelbe Säcke, ernten Beerensträucher ab und sie zerstören Hauseinrichtungen: Die Rede ist von Waschbären, die sich langsam aber sicher auch in der Region breitmachen.

Der kleinste Vertreter aus der Familie der Bären ist ein Eindringling. In Europa hat er keine natürlichen Feinde und findet ideale Lebensbedingungen vor. Procyon lotor, wie das Bärchen wissenschaftlich heißt, ist ein Neozoon in Europa, dem Kaukasus und Japan. Der Nordamerikaner ist aus Wildgehegen ausgebrochen oder er wurde, wie in den 40er-Jahren in Hessen, ausgesetzt, um die heimische Fauna zu bereichern.

Das Gesicht mit der dreieckigen Dunkelfärbung, das an eine Zorro-Maske erinnert, finden längst nicht alle entzückend. Bettina Wills beispielsweise hat der Bär oft genug um ihre Nachtruhe gebracht. Wills wohnt in Schlichten auf dem Schurwald, am Ortsrand in Richtung Lichtenwald. Dem Bär gefiel es auf dem Dach des Hauses, in den Abstellräumen unter dem Haus, auf der Terrasse. Und immer kam der Kleinbär nachts, auf der Suche nach Nahrung und einem sicheren Platz für sich und seine Jungen. „Das Problem ist, dass das Tier einen Mordslärm verursacht und einen aus dem Schlaf schreckt“, berichtet Wills. „Und morgens liegen dann Kothaufen rund ums Haus.“ Auf der Suche nach Abhilfe hörte sie wenig Ermutigendes. Das Tier kehre immer wieder dorthin zurück, wo es sich wohlfühlt. „Einen Waschbären loswerden? Das ist sehr schwer“, sagt Klaus Lachenmaier, der Biologe des Landesjagdverbands. „Waschbären sind sehr hartnäckig und richtig aufdringlich. Und sie sind enorm anpassungsfähig, stellen sich auf neue Gegebenheiten rasch ein.“

Lachenmaier erhält viele Anrufe von Menschen, die sich von Waschbären gestört fühlen. „Das einzige Mittel ist, sein Haus komplett abzudichten und alle Öffnungen, durch die das Tier ins Haus kann, zu schließen“, sagt der Biologe. Haustiernahrung draußen abzustellen, verbiete sich ebenso wie den Gelben Sack oder die Mülltonne am Vorabend rauszustellen. Und aufmerksam die Umgebung beobachten: „Manchmal reicht es schon, einen Ast abzusägen, um dem Bären seinen Weg abzuschneiden. Geräusche, Gerüche und ein unfreundliches Terrain können abschreckend wirken.“ Bettina Wills hat all das getan: Eine Art Fischernetz, mit Glöckchen versehen, und ausgestreuter Cayenne-Pfeffer sollten den Bären vom Haus fernhalten. Bis auf Ausnahmen blieb das Tier weg.

Der aus Nordamerika stammende und zur Familie der Kleinbären gehörende Bär wurde als Pelztier nach Deutschland eingeführt. Die Aussetzung von zwei Paaren am hessischen Edersee im Jahr 1934 bildete die Keimzelle des westdeutschen Freilandvorkommens. Die Besiedlung Süddeutschlands erfolgt von Norden nach Süden. Schwerpunkte dort sind mittlerweile der Schurwald, der Albtrauf und der Welzheimer Wald.

Einer, der sich mit Waschbären gut auskennt, ist Georg Krause. Er ist der Stadtbiologe in Donzdorf und hat schon etliche Publikationen zum Procyon lotor herausgegeben. Krause hält den nachtaktiven Allesfresser für einen geschickten und klugen Überlebenskünstler, den nichts so schnell abschreckt. Mit seinen händeartigen Pfoten ist der Bär ein sehr guter Kletterer und er kann sogar Riegel aufschieben. Noch ist der kleine Kerl ein „Sympathieträger“, wie Krause sagt, obgleich sich besorgte Nachfragen zu aufdringlichen Petzen häufen.

Krause weiß, dass die Waschbärenpopulation in den vergangenen Jahren enorm angestiegen ist. Das liege an den guten Lebensbedingungen mit viel Wald, Wasser und ausreichend Nahrungsquellen. Milde Winter und nahrungsreiche Sommer haben die sonst recht hohe Jungensterblichkeit eingedämmt – so habe die Population stark wachsen können. Krause hält es für eine Illusion, den Bären wieder zurückdrängen zu können – sowohl als Population als auch im Einzelfall. Er sei schwer zu bejagen, weil er sich zu verstecken weiß. „Andernorts, wo sie geschossen wurden, stieg die Population in der Folge an: Um die Art zu erhalten, bekamen die Weibchen einfach früher Junge – als Gegenstrategie“, erklärt Biologe Krause. Er hält es mit dem indianischen Sprichwort: „Einen gesehen, 100 im Busch, einen erlegt, 1000 im Busch.“ Krause sagt: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das Tier da ist und dass es noch mehr werden.“ Er rät zu Gelassenheit im Umgang mit dem Bären und dazu, Häuser abzusichern. Er weiß um die „Kommunikation“ unter den Tieren, was gute Bleiben betrifft: „Vertreibt man eine Familie vom Dachboden, ist ein paar Tage später die nächste da.“ Gleichzeitig warnt er vor Panik: „Auch in Kassel, mittlerweile die ‚europäische Hauptstadt der Waschbären‘, leben Mensch und Bär zusammen – und es funktioniert auch.“ Laut Krause gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass der Bär hiesige Arten bedrohe.

Jochen Hildenbrand, der Umweltreferent der Stadt Nürtingen, weiß vom Vorkommen der Tiere in der Gegend, Sichtungen und Spuren verraten den Bären. Beschwerden sind ihm jedoch keine bekannt. Auch auf den Fildern hat Procyon lotor einen neuen Lebensraum gefunden. Kürzlich musste die Tierrettung ein Tier aus einer misslichen Lage bei der Messe befreien. Bernd Budde, der Revierförster von Kirchheim, sieht das Tier auf dem Vormarsch, wenngleich es im Raum Kirchheim noch nicht allzu stark in Erscheinung getreten ist. „Er ist ganz sicher da und es werden mehr“, sagt Budde, der den Bären durchaus als Schädling für Baum- und Bodenbrüter ansieht. Die Abschusszahlen, die Budde vorliegen, sprechen eine deutlich Sprache: Im Jagdjahr 2014/2015 sind in Baden-Württemberg 721 Waschbären erlegt worden, im Jahr davor waren es 585 und davor 262. Bleibt wohl nur, sich zu arrangieren. Und nicht nur das maskentragende Schleckermäulchen ist hierzulange auf dem Vormarsch. Auch der Marderhund, auch Enok genannt, mit dem der Waschbär leicht verwechselt werden kann, nimmt Kurs, wenngleich noch nicht nennenswert in Baden-Württemberg. Ihm folgt wohl der Mink, ein nordamerikanischer Nerz.     bob / Foto: dpa


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