Flüchtlingen im Landkreis ist wenig zum Feiern zumute – Weihnachtsgeschenke nur für die Kinder
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Weihnachten scheint kaum denkbar ohne Lichterketten und leuchtende Sterne, Nikolausmützen und Menschen im Einkaufsstress, süßliche Lieder aus dem Radio und Glücksversprechen aus der Fernsehwerbung, geschmückte Christbäume und die Hoffnung auf eine friedliche Stimmung an einem reich gedeckten Tisch. Doch etliche Menschen im Landkreis treiben ganz andere Sorgen um. Geflohen vor Krieg und Terror, verfolgt und bedroht wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer religiösen Überzeugungen mussten sie ihre Heimat verlassen und konnten dabei vielfach nur das nackte Leben retten. Nach Feiern ist diesen Menschen nicht zumute.
Die Wände sind kahl im Gemeinschaftsraum im Flüchtlingsheim in der Charlottenstraße in Kirchheim, lediglich einige Kinderzeichnungen setzen Farbtupfer. Kein geschmückter Baum, keine Gestecke, keine Kerzen – nichts deutet auf eine festliche Zeit hin.
Etwa 280 Menschen leben derzeit im Kirchheimer Flüchtlingsheim. Sie stammen aus Syrien, dem Iran und dem Irak, aus Afghanistan und Pakistan, aus afrikanischen Ländern und aus Tschetschenien. Pro Person stehen rechnerisch 4,5 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung, manchmal sitzt eine vierköpfige Familie in einem 14-Quadratmeter-Zimmer aufeinander. „Gemessen an dieser Enge, an den vielen unterschiedlichen Kulturen und vor allem wenn man betrachtet, welche Erfahrungen die Menschen gemacht haben und welche Traumatisierung viele erlitten haben, ist es ein sehr gutes Zusammenleben hier“, sagt Jutta Woditsch, Sozialarbeiterin bei der AWO, die die Menschen im Heim betreut. Friedlich sei es, doch gefeiert werde nicht. „Die Leute haben andere Sorgen“, sagt Woditsch.
Ibrahim* illustriert das. „Wir sind schon seit zehn Monaten in Deutschland und wir haben immer noch keine Antwort vom Bundesamt. Ich kann nichts tun, nur sitzen und warten und hoffen“, sagt er und hebt wie zur Bestätigung seiner Hilflosigkeit die Hände.
Ibrahim stammt aus Syrien, hat als Mathematiklehrer gearbeitet und spricht recht gut deutsch. Die Familie besaß ein Haus in einem Ort nahe der Hauptstadt Damaskus, gehörte zur gebildeten Mittelschicht des Landes. „Dann kamen die Soldaten, die Flugzeuge, der Krieg, mit aller Macht“, berichtet Ibrahim mit leiser Stimme und erzählt von Fassbomben, Zerstörungen, wahllosem Töten. Die Familie hat es in die relative Sicherheit Westeuropas geschafft, rechtzeitig noch. „Aber was ist mit unseren Freunden, unserem Haus? Wir wissen gar nichts.“ Als Muslime würden sie zwar keine Weihnachten im christlichen Sinn feiern, doch sei in der Heimat zumindest in den Städten zu der Zeit immer auch eine festliche Stimmung zu spüren gewesen. „Aber jetzt? Es ist nur traurig“, sagt Ibrahim.
Für Victoria* sieht das ganz ähnlich aus. Sie stammt aus Nigeria und ist mit ihren zwei kleinen Töchtern auf lebensgefährlichen Wegen nach Kirchheim gekommen, „über das Meer“, sagt sie nur. Sie ist Christin und wird an Weihnachten zur Kirche gehen und beten, für ihre Kinder, für den Frieden in ihrer Heimat. Feiern wird sie nicht.
Auch im Heim in der Rennstraße in Esslingen herrscht eine nüchterne Stimmung. 105 Flüchtlinge leben dort, manche sind erst seit kurzer Zeit der Verfolgung oder dem Terror in ihren Heimatländern entronnen. Die Traumatisierung und die emotionale Belastung sind meist stark, über Fluchtgründe oder die Wege wird daher nicht gesprochen. Brunhilde Burgmann und ihre Mitstreiter vom ökumenischen Arbeitskreis Asyl, die sich ehrenamtlich um die Menschen kümmern, haben kürzlich im katholischen Gemeindehaus in Berkheim eine Nikolausfeier für die Flüchtlingsfamilien auf die Beine gestellt. Im Heim in der Rennstraße aber findet Weihnachten nur in einigen Familien statt. „Wir sind Muslime. Bis vor wenigen Monaten haben wir das überhaupt nicht gekannt. Der Schmuck in den Straßen ist zwar schön, aber ich habe keine Beziehung dazu“, lässt eine Frau aus Pakistan übersetzen.
Derya* stammt aus der Türkei, sie kennt Weihnachten. Sie ist zwar Muslima, begeistert sich aber an der Atmosphäre und besucht gerne Weihnachtsmärkte. „Wenn wir eine Wohnung hätten, würde ich auch einen Baum aufstellen und schmücken, schon für die Kinder“, sagt sie.
Auch in der Familie der jungen Afghanin, die mit am Tisch sitzt, wird sich Weihnachten für die Kinder etwas abheben. „Für sie gibt es ein besonderes Essen und ein kleines Fest. Und natürlich Geschenke. Die gab es auch schon zum Zuckerfest. Den Kindern geht es ziemlich gut“, sagt sie.
Den klassischen Wunschzettel zum Fest wird man allerdings in den Heimen nicht finden. Die Wünsche der Menschen, die im Landkreis Zuflucht gefunden haben, lassen sich nicht mit einem Besuch im Kaufhaus befriedigen und sind doch so einfach und fast existenziell. „Gesundheit, Ruhe und Arbeit. Ich bin Friseurin, ich liebe diese Arbeit und möchte meine Kinder ernähren können“, sagt Victoria in Kirchheim. „Zur Schule gehen, lernen, eine Ausbildung machen“ – Wünsche, die eine junge Afghanin in Kirchheim und eine Pakistani in Esslingen einen. Ibrahim versucht, es auf den Punkt zu bringen. „Ein einfaches, normales Leben, eine Wohnung und Arbeit, das ist alles. Frieden, in meiner Heimat und in der Welt.“ pst
* Die Namen der Flüchtlinge sind zu ihrem Schutz geändert worden.