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Es war ein großes EM-Finale, aber ohne Titel für die deutschen Fußball-Frauen. Sind sie trotzdem ein Vorbild für die Männer?

Foto: dpa

Frauen ein Vorbild?

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Tafelläden ächzen unter dem Ansturm

Geflüchtete aus der Ukraine machen derzeit die Hälfte der Kundschaft aus – Ehrenamtliche gesucht

Die Folgen des Ukraine-Krieges fegen wie ein Tsunami über Deutschland und spülen allerhand Probleme in die Gesellschaft. Auch den Tafelmitarbeitern im Landkreis Esslingen steht das Wasser derzeit bis zum Hals. Sie müssen sich einer Flut von Neukunden stellen. Ungefähr 50 Prozent der Besucher sind derzeit Ukrainer. „Ab 8.30 Uhr stehen bereits die ersten Leute vor dem Geschäft – also drei Stunden vor Ladenöffnung“, sagt Roswitha Marin, die stellvertretende Leiterin der Caritas-Tafel Esslingen.
Es ist absurd, aber es gilt: Jeder will der Erste sein. Bei Ladenöffnung werden aufsteigende Nummern verteilt. Damit können Kunden abschätzen, wann sie ungefähr dran sein werden. Die Eins kauft zuerst ein und hat die freie Auswahl, die Nummer 120 kommt zuletzt und muss schauen, was noch übrig ist. „Wir versuchen natürlich, unsere Waren so zu verteilen, dass auch für die hinteren Nummern etwas übrig bleibt“, sagt Roswitha Marin.

Mehr Kunden, weniger Personal
„Vor sechs Monaten kamen zwischen 50 und 70 Kunden in die Esslinger Tafel, jetzt sind es zwischen 100 und 120 Kunden täglich“, sagt Helga Rütten, die Fachleiterin der Abteilung Solidarität der Caritas Fils-Neckar-Alb. Auch in Nürtingen stieg der Zahl der Kunden zuletzt stark an. Dort habe man Mitte Juni sogar das Tafelkonzept ändern müssen. Eine Notmaßnahme, da die Tafel ihr Limit erreicht hatte.
Früher konnten die Kunden dort täglich einkaufen, jetzt darf nur noch einmal in der Woche eingekauft werden. „Vor einem halben Jahr kamen in Nürtingen 50 bis 60 Menschen täglich. Bevor wir auf einmal wöchentlich umgestellt haben, waren es 90 bis 100“, sagt Helga Rütten. Besonders prekär mache die Situation, dass der Kundenzuwachs mit einem Personalmangel einhergehe.

Der „ältere Nachwuchs“ fehlt
„Nürtingen sucht ganz dringend Unterstützung von Ehrenamtlichen“, sagt Helga Rütten. Vor Kurzem sei man sogar kurz davor gestanden, den Nürtinger Laden gar nicht erst zu eröffnen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten aber Doppelschichten eingelegt, um das zu verhindern: morgens Waren sortieren und mittags verkaufen.
Der Personalmangel sei auch eine Folge der Coronapandemie. „Während Corona sind uns einige Ehrenamtliche weggebrochen. Viele waren über 70 und gehörten zur Hochrisikogruppe, weshalb sie nicht mehr gekommen sind“, sagt Patricia Heidke, die sozialpädagogische Begleitung des Ehrenamts und der berufsbegleitenden Maßnahmen der Esslinger Tafel.

Dramatische Lage in Nürtingen
In Esslingen sei die Situation noch nicht so dramatisch wie in Nürtingen. Dies liegt laut Patricia Heidke daran, dass Esslingen mit 13 Mitarbeitern in sogenannten Arbeitsgelegenheiten arbeitet. Dabei handle es sich um ein Instrument des Jobcenters, das schwer Vermittelbaren und Langzeitarbeitslosen helfen soll, wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen.
In Nürtingen ginge das allerdings nicht. Dort arbeiten ausschließlich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Trotzdem würden in Esslingen dringend Fahrer gesucht, die mit einem Sprinter die Lebensmittel abholen und zur Tafel bringen. Die Zahl der Tafelmitarbeiter sei zwar dank jüngerer Mitarbeiter ungefähr konstant geblieben, sagt Marin. Das Problem sei, dass die Jüngeren – im Vergleich zu den Älteren – oft nur stundenweise Zeit hätten. Rentner und Pensionäre hätten oft mehrere Tage in der Woche geholfen.

Neukunden verdrängen Altkunden
Ein weiteres Problem sei, dass durch den großen Andrang ukrainischer Flüchtlinge viele ältere Tafelkunden fernblieben. „Im Prinzip können wir die Gründe dafür nicht genau benennen. Die kommen einfach nicht mehr“, sagt Roswitha Marin. „Vermutlich hat es viel mit der Hitze und den langen Wartezeiten zu tun. Die Kunden müssen bis zu zwei Stunden in der Sonne stehen.“ Dies sei auch ein Problem der Räumlichkeiten.
Die Esslinger Tafel kann ihren Kunden keinen überdachten Warteraum mit Sitzmöglichkeiten anbieten. Nur sieben Kunden können derzeit in den Verkaufsraum. Der Rest wartet draußen. Schon seit Längerem sucht man eine neue und geeignetere Örtlichkeit für den Laden. Dies sei aber nicht so einfach: Laut Patricia Heidke hat es schon öfters Absagen gegeben, weil Vermieter die Tafel nicht im Haus haben möchten.

ff / Foto: Roberto Bulgrin


Der Fahrplan hat ausgedient

Nachtschwärmer können in Wernau ab sofort den Bus auf Zuruf bestellen – Kreis Esslingen Vorreiter im VVS-Gebiet

Der Nahverkehr der Zukunft wird in Wernau getestet: Ab sofort kommt der Bus in den Abendstunden auf Zuruf. „On-Demand-Ridepooling“ heißt dieses Modell im Fachjargon. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet es: Mobilität bei Bedarf – ohne festen Fahrplan, ohne bestimmte Haltestellen und ohne vorgegebene Fahrtroute. Das sei, so hob Horst Stammler, Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS), beim Start des Pilotprojekts hervor, „eine kleine Revolution im Nahverkehr“. Der App-basierte Fahrdienst „Flex Mobil“ sei die digitale Weiterentwicklung des bewährten Anrufsammeltaxis. Und mit diesem innovativen Angebot sei der Landkreis Esslingen Vorreiter im Verbundgebiet.
Die Firma Schlienz-Tours bietet Fahrten innerhalb des Stadtgebietes in den ruhigeren Tageszeiten an – ab 20 Uhr, wenn der reguläre Stadtbus nicht mehr fährt. Der Rufbus soll den klassischen öffentlichen Nahverkehr schließlich sinnvoll ergänzen und ihm nicht die Fahrgäste streitig machen. Zum Einsatz kommt ein Kleinbus mit bis zu sieben Sitzplätzen, der bei Bedarf per App oder telefonisch angefordert wird. Den Bus kann man an reguläre Haltestellen bestellen oder an virtuelle Haltepunkte, die auf elektronischem Weg passgenau ermittelt werden. Laut Erhard Kiesel, dem Geschäftsführer von Schlienz-Tours, gebe es mehrere hundert Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten im Stadtgebiet.
Der Shuttledienst zum VVS-Tarif ist jedoch nicht exklusiv: Unterwegs können weitere Fahrgäste zu- oder aussteigen. Fahrtwünsche in ähnliche Richtungen werden über einen Algorithmus automatisch gebündelt, um den Besetzungsgrad zu erhöhen und die Wartezeiten zu minimieren. Wie lange es dauert, bis der Bus kommt, teilt die App dem Nutzer mit. Der kann ebenso die Anfahrt des Fahrzeugs live verfolgen. „Auch das Kennzeichen wird mitgeteilt und sogar der Name des Fahrers“, sagt Kiesel.

Besser als das Ruftaxi
Wenn gerade kein Fahrtwunsch vorliegt, wartet der Kleinbus in der Nähe jener Punkte, an denen das meiste Fahrgastaufkommen erwartet wird. Beispielsweise am Wernauer Bahnhof, der durch das On-Demand-Angebot besser angebunden ist als vorher mit dem Ruftaxi. Auch bisher nicht an den ­öffentlichen Nahverkehr angebundene Wohngebiete werden durch den Shuttle erschlossen. „Das ist ein enormer Komfortzuwachs für alle Bürgerinnen und Bürger“, sagte Wernaus Bürgermeister Armin Elbl. „Wir wünschen uns, dass viele Menschen dieses tolle Angebot nutzen“, fügte die Erste Landesbeamtin Marion Leuze-Mohr hinzu.
Das Wernauer Pilotprojekt ist zeitlich nicht befristet – vom Erfolg sind alle Partner jetzt schon überzeugt. Zunächst gelte es, Erfahrungen zu sammeln, von denen weitere Kommunen in der Region profitieren sollen. „Gerade der ländliche Raum ist prädestiniert für ein solches ÖPNV-Angebot“, sagte Stammler. „Ich bin zuversichtlich, dass wir On-Demand-Verkehre in den nächsten Jahren überall haben werden.“ Noch gebe es in keinem anderen Verbundlandkreis etwas Vergleichbares. Aber auch dort strebe man die Einführung von Pilotprojekten an, so Stammler. In Besigheim und Bietigheim (Kreis Ludwigsburg), im Bereich Schwäbischer Wald und Winnenden (Rems-Murr-Kreis), in Geislingen (Kreis Göppingen) sowie in Waldenbuch, Steinenbronn und Schönaich (Kreis Böblingen) werden sie voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres umgesetzt, heißt es beim VVS.
In der Landeshauptstadt hat man bereits entsprechende Erfahrungen mit dem Rufbus gesammelt: Im Juni 2018 ging „SSB Flex“ in Teilen Stuttgarts an den Start – ab August 2019 dann flächendeckend. Die Stuttgarter Straßenbahnengesellschaft (SSB) spricht von einem Erfolgsmodell, „obwohl die Rahmenbedingungen durch die Coronapandemie nicht optimal waren“, sagt Roland Kraus von der SSB-Stabsstelle Planung. Im Stuttgarter Stadtgebiet werden 6000 Haltepunkte angefahren, inzwischen sind laut Kraus 19 Fahrzeuge im Einsatz. Die stärkste Nachfrage verzeichne man zwischen 23 und 1 Uhr.

eh / Foto: Ines Rudel


Ein Klima-Vorzeigeprojekt

Der Gewerbepark „Scharnhausen West“ bietet nachhaltige Lösungen – Potenzial für gut 2200 Arbeitsplätze

Nachhaltiges Infrastruktur- und Mobilitätskonzept, zu einem hohen Grad energieautark – von modernen Wohngebieten wie der Weststadt in Esslingen kennt man diesen Ansatz. In Ostfildern will man diesen Weg auch im neuen Gewerbepark „Scharnhausen West“ gehen. Klimaneutral arbeiten und mobil sein, heißt dort die Losung. Auf der gut elf Hektar großen Fläche werde man pro Jahr rund 5000 Tonnen weniger CO2-Emissionen haben als bei vergleichbaren konventionellen Gewerbegebieten, erklärt der Erste Bürgermeister Rainer Lechner. Mehr als 2200 Arbeitsplätze könnten auf der verkehrsgünstig gelegenen Fläche entstehen. Zusammen mit der EnBW als Partner will man Fotovoltaikanlagen auf Dächern und Fassaden platzieren. Außerdem plane man das größte Erdwärmesondenfeld in Deutschland. „Wir setzen uns damit an die Spitze der Bewegung“, sagt Lechner.
Für die Stadt Ostfildern ist das neue Gewerbegebiet am Ortsrand von Scharnhausen Richtung Plieningen eine sehr kostspielige Sache. Unter anderem mussten zwei Starkstrommasten abgebaut und die Kabel in die Erde verlegt werden. Allein dafür habe man sechs Millionen Euro aufbringen müssen, so Lechner. Jedoch gehe man davon aus, dass sich das Projekt durch den Verkauf der Gewerbeflächen selbst finanziere. Mehrere große Firmen hätten schon vor Jahren signalisiert, dass sie an Erweiterungsflächen interessiert seien.

Wertvoller Filderboden
Es gehe darum, die Wirtschaftskraft der Kommune zu erhöhen, erklärt Lechner. Bei der Zahl der Arbeitsplätze liege man im Vergleich zu den anderen Großen Kreisstädten im Kreis Esslingen im hinteren Bereich. Was deutlich weniger Gewerbesteuereinnahmen bedeutet. Laut Lechner hat Ostfildern einen jährlichen Pro-Kopf-Ertrag von 585 Euro aus der Gewerbesteuer. Bei den anderen Großen Kreisstädten liege der Satz im Schnitt bei 764 Euro.
Der Stadt sei es ein Anliegen, die Fläche sehr nachhaltig zu nutzen. Auch, weil der Filderboden zu den wertvollsten in Deutschland zähle. Deshalb habe man sich für eine hohe Baudichte entschieden. Die neuen Gewerbebetriebe könnten bis zu 18 Meter hoch werden. Die obersten 50 Zentimeter des Bodens, insgesamt 70 000 Kubikmeter, werden dafür genutzt, andernorts minderwertige Agrarflächen zu verbessern. Geplanter Baustart ist Ende 2022. Die Hochbauarbeiten beginnen 2024.
Erst vor Kurzem hatten die Stadt und die EnBW einen Kooperationsvertrag geschlossen. Neben der Planung und Optimierung der Infrastrukturgewerke übernimmt die EnBW später auch die Betriebsführung und Medienversorgung der künftigen Nutzer.
„Quartiere müssen ganzheitlich gedacht sein. Mit unserem Konzept für den Gewerbepark ‚Scharnhausen West‘ zeigen wir, wie Mobilität, Arbeiten und Nachhaltigkeit in Zukunft funktionieren“, sagt Nils Blume, Leiter Urbane Infrastruktur EnBW. Zum Energiekonzept gehören auch 370 Erdwärmesonden, die 130 Meter unter den zentralen Gebäuden platziert werden. In Summe sei dies das größte Erdwärmesondenfeld in Deutschland, so Blume. Es liefert im Winter Wärme und ermöglicht im Sommer die Kühlung der Gebäude. Zur thermischen Energieversorgung des Quartiers gehören außerdem ein sogenanntes kaltes Nahwärmenetz, dezentrale Sole-Wasser-Wärmepumpen in jedem Gebäude und eine dezentrale elektrische Warmwasserbereitung. Für die elektrische Versorgung sind ein zentraler Batteriespeicher bei der Quartiersgarage und Fotovoltaikanlagen auf Dächern und Fassaden geplant.
Neben der Energieversorgung ist der Mobilitätshub das zentrale Element des Konzeptes. Die vollständig mit erneuerbarer Energie betriebene Garage bietet Platz für rund 950 Fahrzeuge und stellt 200 Ladepunkte sowie zwei Schnellladepunkte öffentlich zur Verfügung. Über eine Mobilitätsplattform buchen Firmen zudem Stellflächen nach Bedarf oder reservieren Mietwagen. Das spart auf dem Gelände Platz, reduziert den Verkehr und senkt die Kosten für Firmen. Ebenso vorgesehen sind Fahrradstellplätze, Sharing-Lösungen und eine gute Anbindung ans öffentliche Nahverkehrsnetz.

hf / Foto: Ines Rudel