Jörn Lingnau und Regina Hemminger schließen sich für viele überraschend der FDP im Esslinger Gemeinderat an

Das neue Jahr beginnt in der Esslinger Kommunalpolitik mit einem Paukenschlag: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörn Lingnau und seine Stellvertreterin Regina Hemminger haben sich aus der Riege der christdemokratischen Stadträte verabschiedet. Ihre kommunalpolitische Zukunft sehen beide bei der FDP-Fraktion. Mit künftig sechs Sitzen rücken die Freien Demokraten, die 2019 schon Brigitte Häfele von den Grünen hinzugewonnen hatten, zur viertstärksten Kraft im Gemeinderat auf, die CDU muss sich bis zur nächsten Kommunalwahl mit fünf Sitzen begnügen. Während Hemminger und Lingnau von einem konsequenten Schritt sprechen, zeigen sich die verbliebenen CDU-Stadträtinnen und -räte ebenso überrascht wie enttäuscht.
Nachdem sie die übrigen CDU-Ratskollegen informiert hatten, ließen Hemminger und Lingnau, die auch ihr Parteibuch zurückgeben, den Oberbürgermeister Matthias Klopfer und die anderen Fraktionsvorsitzenden wissen: „Mit sofortiger Wirkung verlassen wir die Fraktion der CDU im Gemeinderat Esslingen. Unsere Mandate behalten wir und schließen uns der FDP-Fraktion an.“ Lingnau, der seit 2001 im Gemeinderat sitzt und seit 2014 die CDU-Fraktion führt, erklärte: „Dieser Schritt ist uns nicht leicht gefallen, aber wir werden keine schmutzige Wäsche waschen.“
Für Lingnau ist klar: „Eine Fraktion ist wie eine Mannschaft, alle müssen füreinander spielen. Wenn es ein Spitzenspieler nicht schafft, das Team zusammenzuhalten, muss er Konsequenzen ziehen.“ Das Mandat zurückzugeben, sei keine Option gewesen, weil man bei den Wählerinnen und Wählern im Wort stehe. Der Gedanke, zu zweit als Gruppe im Gemeinderat zu agieren, sei rasch verworfen worden: „Wir können mehr bewirken, wenn wir mit einer Fraktion antreten.“ Der Wechsel zur FDP sei naheliegend: „Uns verbindet viel, es gibt politisch große Überschneidungen.“ Lingnau betont, dass es keinen konkreten Anlass für den Dissens gegeben habe – auch nicht die Entscheidung über den jüngsten Haushalt, bei der sich Lingnau und Hemminger enthalten hatten, während der Rest der Fraktion zugestimmt hatte. Eher werden atmosphärische Störungen genannt: „In der Kommunalpolitik muss diskutiert und darf auch mal gestritten werden. Wenn man keine gemeinsame Linie mehr findet, tritt man auf der Stelle.“ Lingnau hofft, dass nun schnell zur Sacharbeit zurückgekehrt werden kann.
Regina Hemminger, die seit 23 Jahren der CDU und deren Ratsfraktion angehört, hält den Ball ebenfalls flach: „Es hat irgendwann nicht mehr gepasst. Wenn man das feststellt, muss man Konsequenzen ziehen.“ Im Gemeinderat dürfe es nicht um Parteipolitik gehen. „Der Stil hat uns nicht mehr gefallen.“
Die CDU-Fraktion nimmt die Entscheidung „mit großem Bedauern“ zur Kenntnis. Allerdings zeigten sich der erste stellvertretende Fraktionschef Herbert Schrade und Tim Hauser, Stadtrat und Vorsitzender der Esslinger CDU, in einer gemeinsamen Verlautbarung enttäuscht darüber, dass sie die Erklärung der beiden Abtrünnigen so kurzfristig und nur per E-Mail erreicht habe. Für diese Entwicklung habe es im vergangenen Jahr keine Anzeichen gegeben: „Nach unserem Eindruck haben wir engagiert zusammengearbeitet und uns auch menschlich gut verstanden.“ Dass es in einer Fraktion auch mal unterschiedliche Meinungen – etwa bei den Haushaltsberatungen – auszudiskutieren und auszuhalten gebe, sei „ein ganz normaler demokratischer Vorgang“.
Schrade und Hauser weiter: „Ob der Fraktionswechsel fair ist gegenüber Wählern und Partei, deren gemeinsam erstelltes Wahlprogramm im Kommunalwahlkampf mit vertreten wurde, muss jeder Gemeinderat mit sich selbst ausmachen. Für uns ist das Tischtuch jedenfalls nicht zerschnitten, wir pflegen den kollegialen und professionellen Austausch mit allen Kolleginnen und Kollegen.“ Die CDU-Fraktion werde sich neu aufstellen.
adi / Foto: Roberto Bulgrin