Attraktiv, aber taktlos

Die Neckar-Alb-Bahn Richtung Tübingen glänzt durch Unpünktlichkeit – Steigende Fahrgastzahlen – Strecke ist überlastet

Sie ist ein Opfer ihres Erfolgs, die Neckar-Alb-Bahn von Stuttgart über Esslingen, Plochingen, Wendlingen und Nürtingen nach Tübingen. Seit Langem eine der bundesweit bestfrequentierten Regionalverbindungen, fährt eine stetig wachsende Zahl von Fahrgästen auf der Schiene in die Uni-Stadt und ins dicht besiedelte Albvorland. Was die Schienenstrecke selbst an die Kapazitätsgrenze bringt: Das der Nachfrageentwicklung entsprechende, im Lauf der Zeit stark erweiterte Zugangebot offenbart die „infrastrukturellen Schwachpunkte“, teilt die SWEG Bahn Stuttgart (SBS) auf Anfrage mit, die derzeit den Großteil der Verkehrsleistungen auf dieser Linie erbringt. Konkret: Die Strecke ist überlastet vom Zugverkehr, zu dem sich bis zur Fertigstellung von Stuttgart 21 noch der Fernverkehr Richtung München gesellt, der in Wendlingen in die neue Schnellstrecke einfädelt.
Die Folge: Der Taktverkehr gerät aus dem Takt, die Neckar-Alb-Bahn verbucht eine relativ bescheidene Pünktlichkeitsrate, die die SBS zurzeit mit 80 Prozent angibt. Damit ist der Nürtinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel bei weitem nicht zufrieden. Im Sommer 2022, so Gastel, sei der Anteil pünktlicher Züge teilweise sogar auf 70 Prozent abgesunken. In der Diagnose gibt er dem Bahnunternehmen recht: „Die Infrastruktur der Strecke ist mit der zunehmenden Zahl der auf ihr verkehrenden Züge nicht mitgewachsen.“
Die Deutsche Bahn (DB) als Netzbetreiber gelobt Besserung im Rahmen zeitnaher Möglichkeiten: Eine zusätzliche Weichenverbindung im Bahnhof Bad Cannstatt soll schon in diesem Jahr für Entlastung sorgen, sagt eine DB-Sprecherin. Fürs kommende Jahr sei dann eine „Blockverdichtung“ bei Bempflingen geplant. Was bedeutet: Ein Block ist im Eisenbahnjargon der Streckenabschnitt zwischen zwei Signalen. Pro Block und Gleis darf, unabhängig von der Länge des Abschnitts, nur ein Zug verkehren. Bei einer Blockverdichtung wird die Zahl der Signale und damit die Kapazität erhöht.
Allerdings kommen laut der SBS-Sprecherin weitere Faktoren für Unpünktlichkeit hinzu, namentlich die „Durchbindung der Neckar-Alb-Bahn über den Knoten Stuttgart hinaus“, das heißt: die Weiterfahrt der von Tübingen kommenden Metropolexpresszüge nach Heilbronn oder Osterburken und umgekehrt. Die längere Laufzeit erspart etlichen Fahrgästen das zeitraubende Umsteigen, erhöht aber auch das Verspätungsrisiko. Auch „wiederkehrende Baumaßnahmen“ trübten der Sprecherin zufolge die Pünktlichkeitsbilanz speziell der Strecke nach Tübingen.
Die Kirchheimer CDU-Landtagsabgeordnete Natalie Pfau-Weller treibt das Thema ebenfalls um. Im Rahmen einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung richtet sie den Blick vor allem in die Zukunft, wenn voraussichtlich Ende 2027 – so die Antwort des Verkehrsministeriums – die Stuttgart-21-Strecke über den Flughafen vollständig fertig sein wird. Über diese künftige Schnellstrecke geht es dann von Tübingen/Reutlingen im Stunden- und von Nürtingen sogar im Halbstundentakt rasant in den Stuttgarter Tiefbahnhof und darüber hinaus. Da selbstverständlich auch der Fernverkehr diese Route nimmt, wird die Teilstrecke über Wendlingen und Esslingen entlastet.
Für die zukünftige Pünktlichkeit verheißt das Verkehrsministerium neue, doppelstöckige und „besonders spurtstarke“ Triebwagenzüge sowie Geschwindigkeiten bis zu 200 Kilometer pro Stunde. Außerdem würden in die Fahrpläne Pufferzeiten als „zusätzliche Reserven“ eingearbeitet. Davon wolle die SBS noch nichts wissen: Eine Ausweitung der Wendezeiten an den Endbahnhöfen, die einen Puffer für Verspätungen bilden könnte, „würde einen nicht darstellbaren Mehrbedarf an Fahrzeugen generieren“.
Unklar ist im Übrigen, wer die Strecke in den kommenden Jahren befährt. Die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) hat mit einem Aufsichtsratsbeschluss im Oktober 2022 klargemacht, dass sie sich bis spätestens 2023 von ihrer Tochter SBS trennen wird. Als Grund wurde der Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft GDL angegeben. Die SBS entstand, nachdem die SWEG 2021 die insolvente baden-württembergische Tochter des niederländischen Bahnunternehmens Abellio und den Betrieb der Abellio-Li­nien im Land übernommen hatte. An der anstehenden Neuausschreibung dieser zurzeit von der SBS erbrachten Verkehrsleistungen werde man sich nicht beteiligen, teilt die SWEG mit.
Manche Branchenkenner erwarten, dass die DB Regio ins Rennen um die früher von ihr befahrenen Strecken gehen wird. Doch von dort ist nur zu hören: „Zu anstehenden oder laufenden Ausschreibungsverfahren äußern wir uns nicht.“

mez / Foto: Roberto Bulgrin


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