Auf Höhenflug

Leonie Adam ist die einzige deutsche Trampolinturnerin bei Olympia in Rio – Die Familie reist mit – Dramatischer Qualifikationswettkampf

WM 2015

Es ist die Krux einer Randsportart, die nur zu den Olympischen Spielen in den Fokus der Öffentlichkeit gerät. „Bei uns kommt es auf einen Wettkampf in vier Jahren an“, sagt Leonie Adam, die Trampolinturnerin. Nicht einmal 20 Sekunden dauert eine Übung. „Kleine Fehler haben große Auswirkungen.“ Trotzdem hat die 23-Jährige zuletzt alles auf die Karte Olympia gesetzt. Das BWL-Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen hat sie unterbrochen, zwei Urlaubs- beziehungsweise Trainingssemester eingelegt. Immer und immer wieder feilt sie in der Sportschule Ruit an den Übungen, um den Rio-Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Dann folgt der Qualifikationsshowdown: Im April dieses Jahres geht es für diejenigen, die sich nicht mit einem der ersten acht Plätze bei der vergangenen Weltmeisterschaft direkt für Olympia qualifiziert haben, um den letzten Schritt. Es ist wieder einer der Momente, die diesen Sport so zuspitzen, Fehler werden nicht verziehen. Adam wird in dem Klassefeld am Ende Neunte. Eigentlich hätte sie mindestens auf Platz acht springen und damit das Finale erreichen müssen. Doch eine Sonderregelung hilft ihr: Als fünftbeste Sportlerin einer noch nicht qualifizierten Nation reicht am Ende auch Rang neun. Die Freude ist riesig, Adam wird als einzige Trampolinturnerin die deutschen Farben in Rio vertreten. „Der Aufwand hat sich gelohnt“, sagt die Studentin, die in Bonlanden wohnt.

In den vergangenen Wochen hat neben dem Training ein bislang ungewohnter Faktor in Adams Sportlerleben eine Rolle gespielt: der Medienrummel. Auf vielerlei Kanälen steht die junge Athletin Rede und Antwort. Am 6. August geht dann der Flieger nach Brasilien, Adam wird ihr Zimmer im olympischen Dorf beziehen. Außerhalb der Dorfmauern kommt der familiäre Fanclub unter: die Eltern, der Bruder, beide Schwestern, ein Schwager – sie alle sind mit dabei. „Es freut mich, dass alle mitkommen“, sagt Adam. Und dann reist auch noch Freundin Anna-Maria Stäbler mit. Für sie ist dies eine Ehrensache. Denn schon in der siebten Realschulklasse hat sie zu ihrer sportlichen Gefährtin gesagt: Wenn du es zu Olympia schaffst, komme ich mit. Doch damals schien derlei für Adam noch in weiter Ferne.

Mutter Sabine Adam brachte um die Jahrtausendwende Begeisterung über einen Auftritt von Trampolinturnern bei einer Show nach Hause, Tochter Leonie wollte den Sport ausprobieren. Beim TB Ruit fand die Siebenjährige eine nahegelegene Möglichkeit. Schnell zeigt sich ihr Talent auf dem zwischen Federn gespannten Tuch, 2007 wechselt sie zum MTV Stuttgart. Mittlerweile hat sie es zu deutschen Meisterehren gebracht, auch im Synchron-Wettbewerb. Doch in Rio gibt es einen solchen nicht, ebenso wenig wie einen Team-Wettkampf. Überhaupt ist Trampolinturnen erst seit Sydney 2000 olympisch. Vier Jahre später in Athen holten Anna Dogonadze Gold und Henrik Stehlik Bronze für Deutschland. Seitdem blieben hierzulande große Erfolge aus, für Rio hat sich kein männlicher Athlet qualifiziert. Zwar gibt es eine Bundesliga, doch weder der MTV Stuttgart noch Leonie Adam turnen dort mit. Zwar wären regelmäßige Wettkämpfe gut, doch besitze die Bundesliga nicht die sportliche Klasse wie etwa die der Turner, sagt Adam.

Olympia sei für jeden Sportler ein Traum, sagt die 23-Jährige. Von Problemen wie dem Zika-Virus oder der Terrorgefahr will sie sich nicht ablenken lassen: „Ich will mir die Freude auf meine ersten Olympischen Spiele nicht kaputt machen lassen.“ Am 12. August wird es dann ernst. Adam rechnet aber nicht damit, dass sie ins Finale der besten acht einzieht. „Vom Schwierigkeitsgrad bin ich von der Weltspitze ein Stück entfernt“, sagt sie. Zwei schön durchgeturnte Übungen, gespickt mit Salti und Schrauben, wolle sie zeigen. Unterstützt wird sie dabei von Michael Kuhn, ihr Heimtrainer ist gleichzeitig auch der Bundestrainer. Schwung nimmt sie auch vom Weltcup in Portugal mit, als sie Anfang Juli erstmals in dieser Serie ein Finale erreicht hat. Auch der siebte Platz bei der vergangenen Europameisterschaft macht Mut.

Adam will bis zur Schlussfeier in Rio bleiben, andere Wettkämpfe, auch die Stadt anschauen. Dann wird sie wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwinden. „Das finde ich schade, weil es viele tolle Randsportarten gibt“, sagt sie. Und das Trampolinturnen übe darunter eben einen besonderen Reiz aus: „Keine Sportart kommt dem Fliegen so nahe.“ ch / Foto: Thomas Rösler


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