Der Bund will vor einer Verlängerung die maroden Neckarschleusen erst mal sanieren – Verärgerung in der Region

Der Bund will die finanziellen Mittel für den Ausbau der Binnenwasserstraßen von bisher 2,6 auf 2,1 Milliarden Euro pro Jahr von 2023 auf 2025 reduzieren. Diese Ankündigung hat viele aufgeschreckt, die sich um die Zukunft des Verkehrs in der Region Stuttgart und darüber hinaus sorgen. Bedeutet das eine nochmalige Verschiebung des Schleusenausbaus auf 135 Meter? Beim baden-württembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) schrillen die Alarmglocken. Die Wirtschaft benötige für den Transport von Gütern zeitnah klimafreundliche Alternativen zur Straße und habe sich auf den Ausbau des Neckars verlassen, sagt Artin Adjemian, der beim BWIHK den Bereich Verkehr verantwortet. Er fordert daher ein „klares Bekenntnis des Bundes zum Neckarschleusenausbau“.
Was aus Berlin dazu kam, klingt nicht optimistisch. „Der Bund steht zu der mit dem Land Baden-Württemberg geschlossenen Vereinbarung, die Infrastruktur am Neckar mittelfristig auszubauen. Dazu zählt auch die Verlängerung der Schleusen von derzeit 105 auf 135 Meter“, teilt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit. Doch er schränkt ein: „Kurzfristig müssen wir uns aber darauf konzentrieren, dass die Binnenschifffahrt auf dem Neckar für die Wirtschaft als verlässliches Transportmittel zur Verfügung steht.“ Dafür seien vor allem zahlreiche Instandhaltungs- und Sicherungsarbeiten überall entlang der Strecke abzuarbeiten, die keinen weiteren Aufschub dulden.
Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kritisiert diese Haltung scharf. Der Bund stehle sich aus der Verantwortung. Sanierung und Verlängerung müssten zwingend Hand in Hand gehen, fordert Hermann. Alles andere wäre eine Verschwendung öffentlicher Gelder. Hermann beklagt, dass trotz einer Projektzeit von bislang 14 Jahren noch keine Bauarbeiten an den 27 Neckarschleusen begonnen haben. Das Projekt sei für das Erreichen der Klimaziele und die Bedürfnisse der überregionalen Wirtschaft „von größter Bedeutung“.
In den Neckarhäfen Plochingen und Stuttgart sieht man einen möglichen weiteren Verzug des Schleusenausbaus mit großer Sorge. „Ich kann es nicht nachvollziehen“, reagiert Gerhard Straub, der Geschäftsführer des Plochinger Hafens, mit Unverständnis. Für die Ausweitung des Verkehrs auf dem Neckar brauche man dringend mehr Schiffsraum. Kleine Schiffe würden immer weniger, weil sich deren Betrieb kaum noch rechne.
In Plochingen wurden im vergangenen Jahr rund 500 000 Tonnen Güter umgeschlagen. Das sei ungefähr Vorjahresniveau, sagt Straub. Die Menge entspreche etwa 100 000 Lkw-Fahrten, die man dadurch von der Straße gebracht habe. Und der Neckar biete bei einem entsprechenden Ausbau noch sehr große Kapazitäten. Genauso sieht es sein Kollege vom Stuttgarter Hafen, Geschäftsführer Carsten Strähle. Strähle fordert, die dringend notwendige Sanierung der „totgesparten“ Schleusen gleich mit einer Verlängerung zu verbinden. Der Aufwand wäre unwesentlich größer. „Man braucht halt 30 Meter Betonwand mehr.“ Als großen Vorteil der Binnenschifffahrt sieht der Hafenchef gerade in diesen Zeiten die Energieeffizienz. Denn man benötige nur ein Drittel der Primärenergie des Lkw-Verkehrs. Riesiges Potenzial sieht Strähle bei der Verschiffung von Containern.
Im Hafen Stuttgart ist der Güterumschlag im Jahr 2021 um 13,6 Prozent zurückgegangen. Insgesamt nahm der Güterumschlag mit der Binnenschifffahrt in den baden-württembergischen Häfen im zweiten Jahr der Corona-Pandemie laut Statistischem Landesamt um 0,8 auf 27,9 Millionen Tonnen ab.
Allianz pocht auf längere Schleusen
Mit seiner Ankündigung, die Verlängerung der Neckarschleusen auf 135 Meter aus finanziellen Gründen erst einmal hintan zu stellen, ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf massive Kritik gestoßen. Führende Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft in der Region Stuttgart legen nun mit einem Brandbrief nach Berlin nach. In dem gemeinsamen Schreiben fordern sie den Bundesverkehrsminister auf, an der bereits vor Jahren vereinbarten Verlängerung der Neckarschleusen festzuhalten. „Wir sehen eines der wichtigsten Zentren der Exportwirtschaft Deutschlands in seiner Entwicklung behindert“, betonen der Stuttgarter OB Frank Nopper, der Esslinger Landrat Heinz Eininger, die Präsidentin der IHK Region Stuttgart, Marjoke Breuning, der Vorsitzende des Verbands Region Stuttgart, Thomas Bopp, und Plochingens Bürgermeister Frank Buß.
Bereits jetzt bleibe die Verlängerung der Neckarschleusen hinter dem Zeitplan zurück. Dieser hatte eine Verlängerung der Schleusen bis Plochingen für Binnenschiffe mit bis zu 135 Metern Länge bis zum Jahr 2050 vorgesehen. Die Sanierungen der Schleusen nicht mit deren Verlängerung zu verknüpfen, mache weder planerisch noch wirtschaftlich Sinn, betonen die Unterzeichner des Schreibens. Der Kostenunterschied zur Verlängerung sei marginal und belaufe sich laut Schätzungen lediglich auf zehn Prozent der Sanierungskosten.
Das Thema sei besonders für den Klimaschutz von hoher Relevanz. „Während die anderen relevanten Transportwege an ihrer Leistungsgrenze angelangt sind und bei Zunahme des Güterverkehrs erheblich ausgebaut werden müssten, bestehen auf dem Neckar schnell und günstig zu erschließende Kapazitäten“, heißt es in dem Schreiben. Ein weiteres Argument seien die bereits getätigten und geplanten erheblichen Investitionen in die Häfen, etwa in die Containerumschlagterminals im Hafen Stuttgart. Wissing solle seine Position überdenken und eine zeitnahe Sanierung und Verlängerung aller Neckarschleusen ermöglichen.
hf / Foto: Ines Rudel