Noch bis Oktober durchforsten Spezialisten im Rahmen der Bundeswaldinventur auch den Landkreis Esslingen

In allen Regionen Deutschlands schlingen derzeit Vermessungstrupps Maßbänder um Bäume, zählen junge Triebe, bestimmen die Höhen der Wipfel und begutachten Totholz. Auch in den Wäldern im Landkreis Esslingen sind speziell geschulte Sachverständige unterwegs für eine umfangreiche Zustandserfassung – die sogenannte Bundeswaldinventur. In Baden-Württemberg findet sie zum vierten Mal statt. Ziel der alle zehn Jahre organisierten Inventur ist es, die Waldverhältnisse und forstlichen Produktionsmöglichkeiten zu erfassen. Sie soll wichtige Daten liefern für Entscheidungen von Politik und Wirtschaft in Bund und Land. Die Ergebnisse, die das federführende Thünen-Institut in Eberswalde veröffentlichen wird, werden voraussichtlich aber erst im Jahr 2024 vorliegen.
Der Landkreis Esslingen ist auf rund 19 500 Hektar bewaldet. 6500 Hektar Wald befinden sich im Besitz des Landes Baden-Württemberg, der Rest gehört den Städten und Gemeinden oder Privatpersonen. Doch wie viele Bäume stehen dort eigentlich? Wie entwickeln sich der Wald, seine Baumzusammensetzung und der Holzvorrat? Das sind einige der Fragen, denen in akribischer Detailarbeit nachgegangen wird. „Unser Wald erfüllt eine Vielzahl wichtiger Aufgaben. Darum ist es wichtig zu wissen, wie viel Wald wir in Baden-Württemberg haben und wie es um ihn steht“, erläutert Gerald Kändler, der Leiter der Abteilung Biometrie und Informatik an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Die Freiburger Behörde organisiert und koordiniert die Datenerhebung im Land und ist nach deren Abschluss auch für die Auswertung und Analysen zuständig.
Um zu kontrollieren, wie es all den Buchen, Fichten, Tannen und Lärchen geht, welche Spuren die Dürren der vergangenen Jahre und die Massenvermehrung des Borkenkäfers hinterlassen haben, sind in Baden-Württemberg insgesamt zehn Aufnahmetrupps aus jeweils zwei Personen im Einsatz. „Natürlich wird nicht die gesamte Fläche ‚durchforstet‘“, betont Kändler. Das wäre zu aufwendig bei 1,4 Millionen Hektar Wald. Die mit seltsam anmutenden Geräten und Outdoor-Computern ausgestatteten Teams werden vielmehr Stichproben erheben – insgesamt mehr als 13 000. Erstmals werden bei dieser Waldinventur bundesweit auch DNA-Proben an den wichtigsten Baumarten entnommen, um Erkenntnisse über die genetische Vielfalt und zu Anpassungsprozessen der Wälder im Klimawandel zu gewinnen.
Die nationale Waldinventur startete im April vergangenen Jahres und wird bis Oktober dieses Jahres andauern. „Aktuell sind wir noch mitten in der Erhebungsphase“, berichtet Kändler. Und damit liege man im Zeitplan. Bislang sei in Baden-Württemberg gut ein Drittel der Stichprobenzahl erhoben worden, also etwa 4500 Stück. In den Wäldern des Landkreises Esslingen sind laut Kändler bereits 150 von 280 Stichproben aufgenommen worden.
Die Bestandsaufnahme erfolgt nach einem einheitlichen Schema. Grundlage ist ein Gitternetz, das über die Deutschlandkarte gelegt wurde. Alle vier mal vier Kilometer schneiden sich die Linien, in einigen Regionen, unter anderem in Baden-Württemberg, sind die Maschen sogar nur zwei auf zwei Kilometer breit. Von den Schnittpunkten aus wird ein weiteres Quadrat von 150 auf 150 Meter aufgespannt. Liegen dessen Eckpunkte in einem Waldgebiet, nehmen die Fachleute im unmittelbaren Umfeld dieser insgesamt rund 80 000 Punkte die genaue Anzahl der Bäume, deren Art, Umfang, Höhe, die Verjüngung, das Totholz und weitere Daten auf. Um exakt jene Punkte wiederzufinden, wurde vor Beginn der ersten Bundeswaldinventur 1992 ein 30 Zentimeter langer Metallstab in die Erde getrieben. Jeder einzelne Inventurpunkt repräsentiert 400 Hektar Wald. Ihre exakten Koordinaten sind streng geheim – damit niemand die Messungen verfälschen kann. Sie im Dickicht zu finden, ist selbst für die Trupps mitunter ein mühseliges Unterfangen.
Die Spezialisten müssen sehr präzise arbeiten – das Maßband beim Messen des Baumumfangs muss zum Beispiel immer exakt auf der gleichen Höhe um den Stamm laufen. In Baden-Württemberg, berichtet Kändler, steht als landesspezifische Besonderheit noch an einem Drittel der Stichproben ein zusätzliches Waldboden-Monitoring an. Dabei werden Bodenproben entnommen, die im Labor der FVA analysiert werden. Auch der Bodenhumus wird erfasst – so will man den chemischen Waldbodenzustand repräsentativ erfassen. „Das dient unter anderem dazu zu berechnen, wie viel Kohlenstoff im Waldboden gespeichert wird“, erläutert Kändler.
Wegen des immensen Aufwands ist die Bundeswaldinventur auf knapp zwei Jahre angelegt. Die Kosten dafür belaufen sich auf rund 25 Millionen Euro, allein im Südwesten schlägt sie mit drei Millionen Euro zu Buche.
eh / Foto: FVA/T. Weidner