Begegnungen der nagenden Art

Die Zahl der Ratten scheint in den Städten zuzunehmen – Noch keine Plage – Keine Lebensmittel in Toilette entsorgen

Der ungebetene Gast kam auf unbekannten Wegen. Um weiteren Rattenbesuch zu verhindern, machte die in der Esslinger Altstadt lebende Familie die Schotten an Haustürschlitz und Wandrissen dicht, berichtet eine Nachbarin. Der Klodeckel wird mit schwerem Gerät auf die Brille gepresst, die WC-Spülung nicht nur nach, sondern auch vor der Verrichtung betätigt.
Michael Botsch von der Pressestelle der Stadt Esslingen räumt ein, dass es in Esslingen „wie in allen Städten Ratten in der Kanalisation gibt“. Die Toilettentrutzburg sei aber „aus fachlicher Sicht wenig hilfreich“. Immerhin blieb die Wohnung danach verschont, während nun im dritten Obergeschoss, bei der Nachbarin und ihrer Familie, eine Ratte auftauchte, und zwar wortwörtlich: via Abflussrohr und Kloschüssel. Da ist sich die Frau hundertprozentig sicher.
Von einer Rattenplage in Esslingens historischen Untergründen könne keine Rede sein, versichert Botsch. Ähnliche Entwarnung kommt aus Plochingen (Bürgermeister Frank Buß: Ratten in der Kanalisation werden permanent bekämpft mit Ködern und Fallen), aus Ostfildern (Pressesprecherin Petra Giacopelli: Dieses Jahr noch kein Rattenproblem gemeldet), aus Nürtingen (Stadtsprecher Clint Metzger: Mal mehr, mal weniger, zeitweise treten sie gar nicht in Erscheinung).
Niemand weiß, wie viele Ratten in ganz Deutschland, in einzelnen Landstrichen oder Kommunen leben. Es gibt nicht mal zuverlässige Schätzungen. Allerdings deuten „Erkenntnisse aus größeren Städten allgemein auf eine quantitative Zunahme von Ratten“ in urbaner Umgebung hin, sagt Botsch. Die Gründe liegen zum einen im Klimawandel, zum anderen im menschlichen Verhalten. Milde Winter fördern die Zunahme der Rattenpopulation, da sich die Tiere das ganze Jahr über fortpflanzen – und das mit der Vermehrungsquote eines Schneeballsystems: Ein Rattenweibchen bringt bis zu sechsmal im Jahr im Schnitt je acht Jungtiere zur Welt, die sich nach zwei Monaten selbst fortpflanzen.
Der andere – menschliche – Faktor besteht vor allem in der unsachgemäßen Beseitigung organischer Abfälle. An erster Stelle: Lebensmittelreste, die über den Abfluss oder die Toilette hinuntergespült werden, schaffen ein Schlaraffenland für die Bewohner der Kanalisation. Angezogen werden Ratten auch von Müll, der draußen offen herumsteht oder illegal ausgekippt wird, weiß Clint Metzger. Halb voll weggeworfene Fast-Food-Verpackungen, Küchenreste auf Komposthaufen, Abfalltüten neben den Behältern – alles Festmähler für die Allesfresser. Grenzt dann noch ein Gewässer an und liegt möglichst viel Gerümpel herum, ist der Platz perfekt für die Nager.
Es ist eine unerwiderte Liebe, die die intelligenten Tiere an die Menschheit bindet. Treu folgen sie der Zivilisation. In naturbelassenen Lebensräumen seien sie kaum zu finden, teilt das Umweltbundesamt mit. Umgekehrt hat aber kaum eine Gattung ein dermaßen schlechtes Image. Das hat Gründe, die über subjektive Ekelgefühle hinausreichen. Ratten vernichten nicht nur Lebensmittelvorräte oder – wie vor vier Jahren – rund 200 Regalmeter sozial-, wirtschafts- und rechtswissenschaftlicher Bände in der Stuttgarter Universitätsbibliothek oder nagen die Isolierung vom Kabel und lösen damit Kurzschlüsse aus. Vielmehr übertragen sie etliche Krankheitserreger – im Mittelalter jenen der Pest, heute laut Umweltbundesamt rund 100 andere, darunter Hantaviren, Salmonellen sowie Infektiöses aus Kanal, Stall und Müllhalde. Die Ansteckung erfolgt meist über die Ausscheidungen der Tiere, wobei getrockneter Rattenkot auch als Staub eingeatmet werden kann. Ratsam daher, eine Symbiose zu vermeiden. Neben der Abfallentsorgung in gut geschlossenen, ausreichend hohen Behältnissen – die Tiere sind erstaunliche Hochspringer, sie schaffen bis 1,50 Meter – ist die wichtigste Prävention die Abschottung der Außenwände: Fugen, Ritzen und Löcher stopfen, Kellerfenster stets geschlossen halten, Kabel- und andere Kanäle abdichten.
Wenn aber die Tiere schon im Haus sind? Der Ausflug zu unserer Informantin in die Esslinger Altstadtwohnung endete für die Ratte tödlich in einer Schnappfalle. Giftköder, an denen die Tiere erst mit Verzögerung innerlich verbluten, um den Warneffekt für die Artgenossen auszuschließen, empfehlen sich für Wohnungen nicht, da die Kadaver möglicherweise hinter Mobiliar liegen und stinken. Sie empfehlen sich aus Sicht von Lisa Kainz, Referentin bei der Tierschutzorganisation Peta, auch aus tierethischen Gründen nicht. Sie plädiert für Lebendfallen und Aussiedlung der Eindringlinge.

mez/Foto: privat


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