Das Ende der großen Träume

Gemeinderat hebt Bürgerentscheid zur Esslinger Stadtbücherei auf – Statt Modernisierung und Erweiterung gibt es wegen hoher Kosten eine Sanierung im Bestand

Mit deutlicher Mehrheit hatten die Esslingerinnen und Esslinger beim Bürgerentscheid im Februar 2019 die Modernisierung und Erweiterung der Stadtbücherei im Bebenhäuser Pfleghof beschlossen. Nun hat der Gemeinderat in seiner Sitzung vor Weihnachten die damalige Entscheidung aufgehoben. Die Kostenschätzung ist von knapp 25 auf 61,5 Millionen Euro gestiegen – zu viel für die knappen Kassen der Stadt. Mitte Mai hatte OB Matthias Klopfer anstelle der großen Lösung nur eine „kleine, feine Sanierung“ in den bisherigen Räumen empfohlen. Seither wurde in der Stadt heiß diskutiert. Nun hat der Gemeinderat entschieden: Bis 2029 sollen insgesamt 17,3 Millionen Euro investiert werden – sofern die jeweilige Kassenlage dies zulässt.
Gesetzt waren für die Stadt sogenannte „Sanierungsmindestmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des Büchereibetriebs“. Zunächst waren dafür 7,6 Millionen Euro veranschlagt. Mehrere Ratsfraktionen hatten jedoch zusätzlich Barrierefreiheit und flächendeckendes WLAN im Pfleghof beantragt, wodurch die Kosten für den ersten Sanierungsbaustein auf gut neun Millionen Euro steigen. Zusätzlich sollen ebenfalls bis 2029 für rund 8,3 Millionen Euro alle vom Eigenbetrieb Städtische Gebäude (SGE) vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Raum- und Aufenthaltsqualität sowie zur konzeptionellen Verbesserung der Büchereiarbeit realisiert werden. Das Budget soll in der mittelfristigen Finanzplanung der SGE vermerkt werden.
Grünen-Chefin Carmen Tittel sagte, eine Minimalsanierung der Bücherei werde deren Bedeutung und der guten Arbeit des Teams nicht gerecht. Ihre Fraktion will das Nachbarhaus Heugasse 11 zumindest bis 2029 als Erweiterungsfläche im Besitz der Stadt behalten – „auch als vertrauensbildende Maßnahme“. Ulrike Gräter bekannte sich für die SPD „ohne Wenn und Aber zum Standort Bebenhäuser Pfleghof“. Die Heugasse 11 soll kurz- und mittelfristig als Flächenreserve zur Erweiterung vorgehalten werden – bis dahin sei eine Zwischennutzung nötig. Freie-Wähler-Chefin Annette Silberhorn-Hemminger befand, die Bibliothek sei zunehmend zum Politikum geworden. Nun sei man es dem „hoch motivierten und engagierten Team“ schuldig, innerhalb des eng gesteckten Finanzrahmens der Stadt das Mögliche zu tun und rasch loszulegen: „So weit waren wir in den letzten 20 Jahren noch nie.“ Für die Heugasse 11 brauche es eine ergebnisoffene Darstellung der Fakten und Ideen, wann und wie das Nachbarhaus in die Bibliothek einbezogen werden könne. Sven Kobbelt (FDP) befand, mit dem Bürgerbegehren sei bereits 2018 die Pausentaste für das Projekt gedrückt worden: „Damals wäre ein Neubau in der Küferstraße finanzierbar gewesen.“ Die Mindestsanierung ist für die FDP gesetzt, für die weiteren Bausteine fehle derzeit das Geld. Angesichts geschätzter Kosten von zwölf Millionen Euro für die Heugasse 11 ist für Kobbelt eine Sanierung für die Bücherei nicht denkbar. CDU-Chef Tim Hauser hätte sich in der Bücherei-Debatte „von Anfang an mehr Ehrlichkeit gewünscht“. Die Finanzlage sei schon vor Corona schwierig gewesen. Viele hätten das Projekt mit Herzblut begleitet und seien jetzt enttäuscht. Von einer Zwischenlösung für die Heugasse 11 hält Hauser wenig: „Wenn man das Haus dafür herrichten würde, könnte gleich die Bücherei einziehen.“ Martin Auerbach forderte für die Linken, „nicht noch mehr Zeit unnütz verstreichen zu lassen und die vom damaligen OB Zieger unwidersprochen zugesagten 25 Millionen Euro für die beschlossene Erweiterung und Sanierung endlich zu verwenden“. Dilek Toy (FÜR) forderte ebenfalls, den Bürgerentscheid umzusetzen. Große Teile der Kostensteigerungen seien auf eine beim Architektenwettbewerb noch gar nicht vorgesehene Flächenerweiterung zurückzuführen.
Auf Antrag der Linken wurde namentlich über die Aufhebung des Bürgerentscheids abgestimmt, Annette Silberhorn-Hemminger argumentierte dagegen: „Wir lassen das Projekt erst mal laufen.“ Doch der OB drängte auf einen formellen Beschluss, der nach einigem Spektakel mit 24 zu 14 Stimmen gefasst wurde. Ob die Stadt das Nachbarhaus Heugasse 11 als Erweiterungsfläche behält oder verkauft, soll sich im Frühjahr entscheiden. Die Grundsanierung der Bücherei wurde einstimmig beschlossen, die weiteren Sanierungsbausteine mit klarer Mehrheit.

Mit welcher Größe ist die Bibliothek zukunftsfähig?

Zahlen: Einschließlich der Zweigstelle Berkheim hat die Esslinger Stadtbücherei derzeit 2050 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Nach DIN müssten es jedoch 3860 Quadratmeter sein. Fachverbände empfehlen sogar 5700 Quadratmeter.

Bewertung 2018: SGE-Chef Oliver Wannek hat im März 2018 betont: „Unter einer Nutzungsfläche von etwa 3600 Quadratmetern wird ein kritischer Punkt erreicht. Sollte die letztlich realisierbare Nutzungsfläche zu deutlich unter diesem Schwellenwert liegen, ist ein zukunftsfähiges Bücherei­­­­­programm nicht möglich.“

Bewertung 2022: Vorerst soll es ohne Erweiterung bei 2050 Quadratmetern Fläche bleiben. Mit diesen Plänen werde eine attraktive und zukunftsfähige Bücherei auf den Weg gebracht, befand Ulrike Gräter (SPD).

adi/Foto: Roberto Bulgrin


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