Das Rad, die Räder, der Chef, die Chefin

Neues Projekt von Bündnis Fachkräftesicherung: Flüchtlinge in Arbeit bringen – 150 Sprachschüler lernen für Beruf und Ausbildung


Sie beugen sich über ihre Hefte, blicken hoch zur Tafel, an der deutsche Worte im Singular und im Plural, mit männlichem und weiblichem Geschlecht zu lesen sind, sie schreiben konzentriert. Dann kommt die Frage: „Wie heißt der Plural von Rad.“ „Die Räder“, ertönt es aus dem Tischrund. Die Schüler sind Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, aus Eritrea, Nigeria, Gambia, Pakistan und Afghanistan. Sie pauken seit Kurzem Deutsch im Fördersprachkurs, den das Bündnis Fachkräftesicherung – der Kreis Esslingen mit Partnern aus Indus­trie, Handwerk und der Agentur für Arbeit – organisiert hat. Das Ziel: Geeignete Flüchtlinge möglichst schnell in Arbeit zu bringen, entweder in den Beruf oder in eine passende Ausbildung.

Insgesamt 130 Menschen haben  diese Fördersprachkurse in Kirchheim, Nürtingen, Esslingen und Filderstadt begonnen, 20 weitere einen Aufbaukurs. Die Neustudenten  absolvieren die aktuellen Kurse bis Februar und März. Dann folgen Aufbaukurse, die auch Berufsorientierungen, Bewerbertraining und Praktika beinhalten sollen, so dass die Absolventen zum Herbst 2016 den Sprachlevel B2 erreicht haben – und so gerüstet einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle antreten können.

Das Projekt heißt „Chancen gestalten – WiAA – Wege in Arbeit und Ausbildung“. Daran beteiligt sind der Landkreis Esslingen, die IHK Bezirkskammer Esslingen, die Kreishandwerkerschaft, die Agentur für Arbeit, das Jobcenter,  die Deutsche Angestellten-Akademie und die Volkshochschulen, die Wirtschaftsförderung der Region Stuttgart sowie die Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Dem Programm stehen jährlich rund 373 000 Euro zur Verfügung. Diesen Planungsrahmen teilen sich das Land mit 223 000 Euro und der Landkreis mit 150 000 Euro. Wichtig war, das Programm in die bestehenden Sprach- und Integrationskurse einzubinden und davon abzugrenzen. Das WiAA-Projekt konzentriert sich auf junge Flüchtlinge im Alter zwischen 18 und 40 Jahren, deren Verfahren noch laufen, die aber eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit haben. Einen Einstiegssprachkurs mussten die Bewerber bereits absolviert haben.

Für Landrat Heinz Eininger ist das Projekt ein Baustein für eine gelingende Integration, die auf den „drei Säulen Sprache, Arbeit und Wohnen“ beruht. „Wir brauchen pragmatische Lösungen“, sagte er und beklagte das „durch Erlasse geprägte Verwaltungshandeln“. Vorschläge für die Teilnehmer an den Förderkursen haben die Betreuer der AWO sowie Mitarbeiter des Arbeitsamts und des Jobcenters gemacht. Aus 300 Menschen sind letztlich 150 ausgewählt worden.

Sie haben die Tests bestanden, die die Deutsche Angestellten-Akademie durchgeführt hat. Sie wurden außerdem auf Motivation, Zuverlässigkeit, Lernfähigkeit und Belastbarkeit gecheckt. So wie die Brüder Nour, Bassim und Hussam Kaikati. Die 17, 20 und 22 Jahre alten jungen Männer sind vor drei Monaten aus dem syrischen Damaskus gekommen. Die beiden  Älteren studierten dort Wirtschaft und Bankwesen, der jüngste ging vor der Flucht zur Highschool. Das alles können sie schon gut in der neuen Sprache erzählen.

Sie könnten durchaus zu den jungen Leuten gehören, auf die Wirtschaftsunternehmen und Handwerksbetriebe gespannt schauen.  „Wenn jemand Erfahrung hat mit gelungener Integration, dann sind es doch Wirtschaftsunternehmen“, sagte Hilde Cost, die Geschäftsführerin der IHK Esslingen-Nürtingen. Sie erinnerte daran, wie in den 90er-Jahren auch während des Balkankriegs Serben und Kroaten in Firmen hierzulande selbstverständlich zusammengearbeitet hätten. Dazu komme, dass etwa ein Viertel der Mitarbeiter in den Unternehmen der Region  Migrationshintergrund habe.

„Fachkräfte sind auch unser Thema“, bekräftigte Kreishandwerkermeister Karl Boßler. Er ist sicher, dass sich zu den jetzt 40 Betrieben, die Flüchtlinge ausbilden möchten, sehr schnell weitere  hinzugesellen. Wie die Bündelung von Kräften aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft gelingen kann, zeigt das Pilotprojekt des Bündnisses für Fachkräftesicherung aus dem vergangenen Sommer, als 15 junge Migranten Ausbildungsstellen im Kreis Esslingen angetreten haben.         bob / Foto: bob


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