Firat Arslan kämpft am Samstag in Göppingen um eine neuerliche Chance auf einen WM-Fight
Sie treiben ihn immer noch um, und sie treiben ihn nach wie vor an: Zweimal hat Firat Arslan in den vergangenen vier Jahren umstritten verloren, als er um die Weltmeisterschaft im Cruisergewicht boxte. Die Niederlagen, die der Donzdorfer nicht als solche empfindet, sind Gründe, dass Arslan sich auch noch im ausgesprochen reifen Boxeralter in den Ring stellt. Am kommenden Wochenende will der Mittvierziger mit einem Sieg im Kampf um die Europa-Krone gegen den gebürtigen Albaner Nuri Seferi in Göppingen einen großen Schritt in Richtung neuerlicher WM-Herausforderung machen. Holt er auch diesen Titel, wäre er der älteste Cruisergewicht-Weltmeister aller Zeiten. Er sagt aber auch: „Wenn ich den Kampf gegen Seferi deutlich verliere, dann ist das das Ende meiner Box-Karriere.“
Arslan weiß, wie die süße Frucht eines WM-Triumphs schmeckt. Noch heute schmückt in seinem Heim in Donzdorf der Gürtel eine Vitrine, den er im Herbst 2007 nach seinem Sieg über Virgil Hill in Dresden in die Höhe streckte. Ein knappes Jahr später verlor er den Titel gegen Guillermo Jones. Doch seine eigentliche Leidenszeit sollte damit erst beginnen. Die Folgen eines Fahrradunfalls zwangen ihn bald darauf zu einer langen Kampfpause. Als Arslan dann im Juli 2010 in Stuttgart gegen Steve Herelius um die WBA-Interim-Weltmeisterschaft boxte, musste er – nach Punkten führend – völlig dehydriert wegen eines Kreislaufzusammenbruchs aufgeben. Doch der im bayerischen Friedberg Geborene mit türkischen Wurzeln kämpfte sich zurück ins WM-Rampenlicht.
Am 3. November 2012 galt WBO-Weltmeister Marco Huck in Halle als Favorit. Dass er am Ende der zwölf Runden von den drei Punktrichtern auch zum Sieger gekürt wurde, empfanden aber die meisten Experten als Skandal. „Ein absolutes Fehlurteil“, sagt Arslan. Den Rückkampf im Januar 2014 verlor er dann in Stuttgart durch K.o. „Ich wollte es mit Wut und Gewalt erzwingen, habe kopflos geboxt“, hadert Arslan immer noch. Doch es sollte nicht seine letzte Chance bleiben.
Am 16. August 2014 ging es gegen Yoan Pablo Hernández in Erfurt um die IBF-Weltmeisterschaft. Es war der dritte und letzte Kampf, den Arslan unter der Regie von Promoter Sauerland machte. Wieder siegte der Gegner – und wieder fühlte sich Arslan verschaukelt: „Hernández habe ich eigentlich auch besiegt.“ Und so machte er auch danach weiter, auch um diese „Ungerechtigkeiten wettzumachen“. Vom Alter will er sich dabei nicht aufhalten lassen.
Elf Tage nach dem Seferi-Kampf wird Arslan 46 Jahre alt, nicht erst jetzt wird er als Box-Opa bezeichnet. Das schreckt ihn nicht. „Ich bin kein Box-Ästhet, war immer ein Arbeiter. Meine Kraft- und Ausdauerwerte haben sich seit 2007 nicht verschlechtert“, sagt er. „Noch spüre ich die absolute Energie.“ Verletzungen beugt er, der einst auch für den BC Esslingen in der Bundesliga geboxt hat, durch intensive Vor- und Nachbereitung des Trainings vor. Ausreichend Schlaf, eine auf den Sport abgestimmte Ernährung – auch das zählt für ihn selbstverständlich zum Sportlerleben. Auch sein unbändiger Wille sei eine seiner Stärken. Und er trainiert härter als die meisten Konkurrenten. Seit einigen Jahren tut er dies vor allem in dem Gebäude in Donzdorf, in dem er Wohnhaus und Gym samt Boxring vereint.
Arslans Ehefrau Dilek erwartet im Januar Zwillinge. „Ich bin ein Familienmensch“, sagt der Kämpfer. Bei aller (Vor)Freude – vom Boxen werde ihn das nicht ablenken. Doch der gläubige Arslan hat nicht nur Titel und Geburt im Blick: „Ich will junge Menschen motivieren, will ihnen zeigen, dass man Ziele erreichen kann.“ Und das auch gegen Widerstände.
Arslan wuchs als Jüngster von sechs Geschwistern in Süßen auf. Die Mutter war nach der Trennung von ihrem Mann alleinerziehend. Das Leben sei damals ein harter Kampf gewesen, sagt Arslan. Bis zum Kindergarten sprach er kein Wort Deutsch, auch in der Schule wurde er gehänselt. „Ich bezeichne mich als Deutsch-Türke, liebe beide Länder.“ Mit 18 sieht er die Rocky-Filme, Boxen wird sein Sport. Der Spätstarter sieht darin auch die Möglichkeit des Aufstiegs – und formuliert schon damals das Weltmeister-Ziel.
Das hat er dann 19 Jahre später erreicht – und will es alsbald wieder. Dabei hat er den Rekord von Bernard Hopkins vor Augen. Der langjährige Mittelgewichtsweltmeister war 48 Jahre und 53 Tage alt, als er im Halbschwergewicht noch einmal den WM-Titel holte – Hopkins ist damit der älteste Boxweltmeister der Geschichte. Am Samstag, 17. September, tritt Arslan in der Göppinger EWS-Arena wieder in den Ring. Die Boxnacht veranstaltet er gemeinsam mit dem Hamburger Promotor Erol Ceylan. Doch ohne Fernsehvertrag werde dort nicht viel zu verdienen sein, sagt Arslan – wenn überhaupt: „Ich boxe aus Leidenschaft, nicht nur aus finanziellen Gründen.“
Den 39-jährigen Seferi, der in der Schweiz lebt, sieht er beim Hauptkampf des Abends, dem Fight um den vakanten WBO-Europameister-Titel im Cruisergewicht, leicht in der Favoritenrolle. „Es wird ein harter Kampf, aber ich glaube an meinen Sieg“, sagt Arslan. Da sein langjähriger Coach Dieter Wittmann erkrankt ist, wird Ted Lackner in Arslans Ecke stehen. Am Stil wird das nichts ändern: Aus einer Doppeldeckung heraus versucht der Donzdorfer den Gegner förmlich zu überrollen.
Dem Sieger am Samstag winkt dann eine WM-Chance. Arslan würde am liebsten nochmals gegen Huck boxen, er weiß um die publikumsträchtige Wirkung eines solchen Kampfes. Und er hat mit Huck noch eine Rechnung offen. ch / Foto: dpa
Info: Karten für die Boxnacht in der Göppinger EWS-Arena mit zehn Profikämpfen (unter anderem mit Odlanier Solis und Manuel Charr) am 17. September, 19 Uhr, gibt es unter www.easyticket.de