Der Einzelhandel funkt SOS

Schärfere Corona-Regeln in Kraft – Testpflicht wird nicht ganz so weit gefasst wie zunächst angedacht – Impfaktionen werden ausgeweitet

Die Menschen in Baden-Württemberg müssen wegen der kritischen Corona-Lage seit vergangenem Wochenende mit mehr Kontrollen, Tests, deutlichen Einschränkungen und Verboten leben. Die  neue Verordnung schränkt nicht nur das Leben ungeimpfter Menschen weiter ein,  auch der Alltag etlicher Geimpfter und Genesener im Südwesten ist so stark betroffen wie bislang in kaum einem anderen Bundesland. Der Hintergrund: Vor allem auf den Intensivstationen sind die Zustände kaum noch tragbar. Die Zahl der Patienten steigt, die der freien Betten nimmt ab. Täglich sterben Dutzende Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, Tausende weitere stecken sich neu an. Mit den Maßnahmen will die Landesregierung das Gesundheitssystem entlasten. Die schon gültigen Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte –  ein Haushalt plus eine weitere Person –  bleiben bestehen. Und: Der Verkauf von Böllern und Feuerwerk zu Silvester wird verboten.

Clubs und Discos geschlossen

Nach den neuen Corona-Regeln muss für den Restaurant- und den Zoobesuch, für das Fitnessstudio, den Skilift und vieles mehr ein negativer Corona-Test vorgewiesen werden –  selbst wenn man vor längerer Zeit geimpft wurde oder von Covid-19 genesen ist (2 G plus). Allerdings wurden die neuen Regeln  für Menschen mit einer Auffrischungsimpfung (Booster)  entschärft. Für sie entfällt die Testpflicht an vielen Orten. Das gilt auch für Genesene und Geimpfte, wenn Infektion beziehungsweise Grundimmunisierung nachweislich maximal sechs Monate zurückliegen. Die Landesregierung nimmt von der 2-G-plus-Regel nicht nur  Menschen mit Boosterimpfung, sondern teils auch  Geimpfte und Genesene aus. Letztere müssen nachweisen, dass die Infektion maximal sechs Monate zurückliegt, teilte das Gesundheitsministerium  mit. Weitere Ausnahmen von der 2-G-plus-Regel sind Geimpfte mit höchstens vor sechs Monaten abgeschlossener Grundimmunisierung. Grundlage dieser Abweichungen seien wissenschaftliche Expertisen, so das Ministerium. Die Grundimmunisierung gilt 14 Tage nach der letzten erforderlichen Einzelimpfung als abgeschlossen. Bei Boosterimpfungen gilt die Ausnahme von der Testpflicht sofort. Nicht geimpfte Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren können noch bis zum 31. Januar 2022 über tagesaktuelle Antigen-Schnelltests Zutritt zu allen 2-G-Einrichtungen erhalten. 

Großveranstaltungen sind nun begrenzt, die wenigen bisher noch geöffneten Weihnachtsmärkte wurden verboten, Clubs sowie Diskotheken geschlossen. Für den Einzelhandel gilt landesweit eine 2-G-Regelung (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene). Ausgenommen sind Läden, die Produkte für den täglichen Bedarf verkaufen, wie etwa Supermärkte, Apotheken, Bäckereien und Baumärkte, Gartenmärkte, Poststellen, Reformhäuser und Reinigungen.

Das Land ruft die Polizei auf, Verstöße zunächst nicht zu ahnden. „Wir wissen, dass die neue Verordnung sehr kurzfristig kommt“, sagte der Amtschef des Sozial- und Gesundheitsministeriums, Uwe Lahl. „Das ist eine riesige Herausforderung, etwa für Veranstalterinnen und Gastronomen.“ Das sollten die Polizisten der Städte und Gemeinden berücksichtigen, die für die Kontrolle der Corona-Verordnung zuständig sind. Lahl kündigte dennoch Sanktionen an, die es von Ende dieser Woche an geben soll. Die Ordnungsämter stoßen bei den Corona-Kontrollen in vielen Kommunen im Südwesten bereits jetzt an ihre Grenzen. Es fehle an Kapazitäten für die zusätzlichen Aufgaben, sagte Christopher Heck vom Gemeindetag. Außerdem würden die kommunalen Beamten als Kontrolleure nicht so stark akzeptiert wie die Polizei. Auch Sebastian Ritter vom Städtetag Baden-Württemberg sagt: „Menschen in Uniform haben eine ganz andere Wirkung auf Bürgerinnen und Bürger.“

Vergangenen Samstag spielten die Fußball-Bundesligisten bereits vor weitgehend leeren Rängen –  die „Geisterspiele“ in den Stadien sind zurück. Denn nach der neuen Verordnung sind Veranstaltungen jeglicher Art nur noch mit maximal 50 Prozent der möglichen Besucher erlaubt. Für sämtliche Veranstaltungen –  auch etwa in Kultur und Freizeit –  gilt eine „harte Obergrenze“ von 750 Personen.

Der Einzelhandel funkt SOS  –  er fühlt sich durch die landesweite Einschränkung für ungeimpfte Kunden und zusätzliche Kontrollen benachteiligt. „Mit Einführung der 2-G-Regel für den gesamten Einzelhandel muss der Handel in Baden-Württemberg, der in den letzten 20 Monaten bereits zahlreiche Sonderopfer für die Gesellschaft erbracht hat, einen weiteren Schlag ins Gesicht hinnehmen“, sagte Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg.

Schulen bleiben offen

Mit seinen scharfen Vorgaben geht das Land deutlich über die jüngsten Beschlüsse von Bund und Ländern hinaus. Es sei wichtig, die vierte Welle zu stoppen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) über die neue Verordnung. Trotz der verschärften Corona-Lage will das Land die Schulen so lange es geht geöffnet lassen. Schulen würden erst geschlossen, „wenn gar nichts anderes mehr geht, bei Inzidenzen wie wir sie in Sachsen haben, bei etwa 2000“, sagte  Kretschmann. Der Chef-Epidemiologe des Landesgesundheitsamts, Stefan Brockmann, geht davon aus, dass die Schulen im Südwesten ohne Lockdown und Verschärfung der Quarantänemaßnahmen durch die Weihnachtszeit und die Ferien kommen werden. „Es wäre falsch zu sagen, dass mit den Kindern und Jugendlichen die vierte Coronawelle steht oder fällt“, sagte Brockmann. Er erwarte, dass die Schulen im Südwesten regulär in die Weihnachtsferien gehen und mit dem Unterricht im neuen Jahr starten können. 

Auch der Breitensport ist von der Pandemie-Entwicklung betroffen. So ist etwa der Amateurfußball in Baden-Württemberg vorzeitig in die Winterpause gegangen, der Spielbetrieb wurde für den Rest des Jahres ausgesetzt. Denn auch dort gilt nun die 2-G-plus-Regelung –  zumindest in den Umkleideräumen.

Seit dieser Woche werden im Landkreis Esslingen laut Pressemitteilung des Landratsamts „flächendeckend mobile Impfangebote gemacht“. Zehn mobile Impfteams sind im Einsatz, die bis zu 8000 Impfungen pro Woche verabreichen können. Das Konzept soll die Angebote von Ärzten und Betriebsärzten sowie weiteren kommunalen Aktionen flankieren. Die mobilen Impfteams werden von den Maltesern, dem DRK und den Johannitern besetzt. Zuvor waren bereits Impfstützpunkte in den Großen Kreisstädten eingerichtet worden (montags Körschtalhalle Scharnhausen, dienstags Stadthalle Kirchheim,  mittwochs Beutwanghalle Neckarhausen, donnerstags Walter-Schweizer-Kulturforum Echterdingen, freitags Filharmonie Bernhausen, samstags und sonntags Hotel Park Consul Esslingen;  jeweils von 12.30 bis 18 Uhr).

Nun gibt es im Kreisgebiet weitere Impfstützpunkte: montags Limburghalle Weilheim, dienstags Brühlhalle Reichenbach, mittwochs Stadthalle Plochingen, donnerstags Firma Putzmeister in Aichtal, freitags Quadrium in Wernau, samstags Sulzburghalle Unterlenningen, sonntags Erich Scherer Zentrum in Frickenhausen (jeweils 12.30 bis 18 Uhr). Zusätzlich tourt der Impfbus, vor allem nun durch kleinere Ortschaften. Bei den Aktionen  können sich Kinder ab einem Alter von zwölf Jahren, Jugendliche und Erwachsene impfen lassen. Es werden Erst-, Zweit- und Boosterimpfungen gegeben. An den Weihnachtsfeiertagen wird nicht geimpft.

Für die Stützpunkte im Kreisgebiet ist ein Terminbuchungssystem eingerichtet worden (über www.landkreis-esslingen.de und www.malteser-neckar-alb.de), das bald ausgedehnt werden soll. 

dpa/red/Foto: dpa


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