Nachtschwärmer können in Wernau ab sofort den Bus auf Zuruf bestellen – Kreis Esslingen Vorreiter im VVS-Gebiet

Der Nahverkehr der Zukunft wird in Wernau getestet: Ab sofort kommt der Bus in den Abendstunden auf Zuruf. „On-Demand-Ridepooling“ heißt dieses Modell im Fachjargon. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet es: Mobilität bei Bedarf – ohne festen Fahrplan, ohne bestimmte Haltestellen und ohne vorgegebene Fahrtroute. Das sei, so hob Horst Stammler, Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS), beim Start des Pilotprojekts hervor, „eine kleine Revolution im Nahverkehr“. Der App-basierte Fahrdienst „Flex Mobil“ sei die digitale Weiterentwicklung des bewährten Anrufsammeltaxis. Und mit diesem innovativen Angebot sei der Landkreis Esslingen Vorreiter im Verbundgebiet.
Die Firma Schlienz-Tours bietet Fahrten innerhalb des Stadtgebietes in den ruhigeren Tageszeiten an – ab 20 Uhr, wenn der reguläre Stadtbus nicht mehr fährt. Der Rufbus soll den klassischen öffentlichen Nahverkehr schließlich sinnvoll ergänzen und ihm nicht die Fahrgäste streitig machen. Zum Einsatz kommt ein Kleinbus mit bis zu sieben Sitzplätzen, der bei Bedarf per App oder telefonisch angefordert wird. Den Bus kann man an reguläre Haltestellen bestellen oder an virtuelle Haltepunkte, die auf elektronischem Weg passgenau ermittelt werden. Laut Erhard Kiesel, dem Geschäftsführer von Schlienz-Tours, gebe es mehrere hundert Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten im Stadtgebiet.
Der Shuttledienst zum VVS-Tarif ist jedoch nicht exklusiv: Unterwegs können weitere Fahrgäste zu- oder aussteigen. Fahrtwünsche in ähnliche Richtungen werden über einen Algorithmus automatisch gebündelt, um den Besetzungsgrad zu erhöhen und die Wartezeiten zu minimieren. Wie lange es dauert, bis der Bus kommt, teilt die App dem Nutzer mit. Der kann ebenso die Anfahrt des Fahrzeugs live verfolgen. „Auch das Kennzeichen wird mitgeteilt und sogar der Name des Fahrers“, sagt Kiesel.
Besser als das Ruftaxi
Wenn gerade kein Fahrtwunsch vorliegt, wartet der Kleinbus in der Nähe jener Punkte, an denen das meiste Fahrgastaufkommen erwartet wird. Beispielsweise am Wernauer Bahnhof, der durch das On-Demand-Angebot besser angebunden ist als vorher mit dem Ruftaxi. Auch bisher nicht an den öffentlichen Nahverkehr angebundene Wohngebiete werden durch den Shuttle erschlossen. „Das ist ein enormer Komfortzuwachs für alle Bürgerinnen und Bürger“, sagte Wernaus Bürgermeister Armin Elbl. „Wir wünschen uns, dass viele Menschen dieses tolle Angebot nutzen“, fügte die Erste Landesbeamtin Marion Leuze-Mohr hinzu.
Das Wernauer Pilotprojekt ist zeitlich nicht befristet – vom Erfolg sind alle Partner jetzt schon überzeugt. Zunächst gelte es, Erfahrungen zu sammeln, von denen weitere Kommunen in der Region profitieren sollen. „Gerade der ländliche Raum ist prädestiniert für ein solches ÖPNV-Angebot“, sagte Stammler. „Ich bin zuversichtlich, dass wir On-Demand-Verkehre in den nächsten Jahren überall haben werden.“ Noch gebe es in keinem anderen Verbundlandkreis etwas Vergleichbares. Aber auch dort strebe man die Einführung von Pilotprojekten an, so Stammler. In Besigheim und Bietigheim (Kreis Ludwigsburg), im Bereich Schwäbischer Wald und Winnenden (Rems-Murr-Kreis), in Geislingen (Kreis Göppingen) sowie in Waldenbuch, Steinenbronn und Schönaich (Kreis Böblingen) werden sie voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres umgesetzt, heißt es beim VVS.
In der Landeshauptstadt hat man bereits entsprechende Erfahrungen mit dem Rufbus gesammelt: Im Juni 2018 ging „SSB Flex“ in Teilen Stuttgarts an den Start – ab August 2019 dann flächendeckend. Die Stuttgarter Straßenbahnengesellschaft (SSB) spricht von einem Erfolgsmodell, „obwohl die Rahmenbedingungen durch die Coronapandemie nicht optimal waren“, sagt Roland Kraus von der SSB-Stabsstelle Planung. Im Stuttgarter Stadtgebiet werden 6000 Haltepunkte angefahren, inzwischen sind laut Kraus 19 Fahrzeuge im Einsatz. Die stärkste Nachfrage verzeichne man zwischen 23 und 1 Uhr.
eh / Foto: Ines Rudel