Domenico Tedesco hat als Trainer der belgischen Fußball-Nationalmannschaft einen furiosen Start hingelegt

Die Ortschaft Aichwald liegt idyllisch auf dem Schurwald. Hier lässt es sich gut leben, und zum Arbeiten nach Esslingen oder Stuttgart ist es nicht weit. Die Menschen in der Region schätzen das. Entsprechend beliebt ist es, sich dort anzusiedeln – oder, wenn man das Glück hatte, dort aufzuwachsen, zu bleiben. Mittlerweile wissen auch viele Belgier um die Reize der 7600-Einwohner-Gemeinde. Das liegt daran, dass Domenico Tedesco, der neue Trainer der dortigen Fußball-Nationalmannschaft, aus Aichwald stammt. Noch vor dem furiosen Start des 37-Jährigen – Siege in Schweden (3:0) und in Köln gegen Deutschland (3:2) – haben sich einige Medien des Beneluxlandes auf Spurensuche begeben. Zum Teil sogar vor Ort. Wo stammt der Mann her, der nach dem Abschied der „Goldenen Generation“ für Erfolge sorgen soll?
Philippe Gerday, Sportjournalist beim großen Zeitungsverbund Sudinfo und langjähriger Beobachter der belgischen Nationalmannschaft, hat Tedesco gleich eine ganze Artikelserie gewidmet. Er sprach mit Nicolas Fink, dem früheren Aichwalder Bürgermeister und heutigen stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, mit Hans-Peter Reifenrath, dem Jugendleiter des ASV Aichwald, mit Vertretern von 1899 Hoffenheim sowie des Deutschen Fußball-Bundes und dem Sportchef der Eßlinger Zeitung. Dort hat Tedesco, wie seinem Wikipedia-Eintrag zu entnehmen ist, einst ein Schülerpraktikum in der Sportredaktion absolviert, sein Vater und sein Onkel waren als Drucker beschäftigt. Wie schön es gewesen sein muss, in Aichwald aufzuwachsen, transportierte Gerday. „Und alle, mit denen ich gesprochen habe, haben betont, was für ein höflicher Mensch er ist“, erzählt der Belgier. Dass Fink berichtet, wie beliebt ihr „Dome“ im Ort sei und wie stolz sie dort auf ihn seien, aber gleichzeitig nichts Privates aus seinem Elternhaus preisgeben möchte, müssen der Journalist und seine Leser akzeptieren.
Die meisten belgischen Fußballfans kannten den Namen Domenico Tedesco nicht. Einige, so auch Gerday, hatten wahrgenommen, dass er mal Trainer des FC Schalke 04 war. In dem kleinen Land wisse man, dass man keinen international erfahreneren Mann als Coach bekommen könne, berichtet Gerday. Tedesco, nun jüngster Nationaltrainer der Welt, wurde daher wohlwollend empfangen. „Er hat mit RB Leipzig den DFB-Pokal und damit den ersten Titel in der Vereinsgeschichte gewonnen“, sagt der Journalist. Der junge Neue habe schon etwas erreicht und einige Stationen hinter sich – Jugendtrainer beim VfB Stuttgart und in Hoffenheim, Chefcoach bei Erzgebirge Aue, bei Schalke, bei Spartak Moskau und in Leipzig. Seit Anfang Februar nun ist er als Nachfolger von Roberto Martínez Trainer in Belgien. Immer geerdet in Aichwald und mit dem Hintergrund eines Einwandererkindes, das es geschafft hat. „Der Liebling von Aichwald“, titelt Gerday in den Sudinfo-Zeitungen. Und: „Der Deutsche mit einem italienischen Temperament.“
Der Empfang war freundlich, sie mögen Tedesco in Belgien jetzt schon. Aber die Fans erwarteten Ergebnisse, sagt Gerday. Die hat Tedesco erst mal geliefert. Nachdem sich die Spieler der „Goldenen Generation“ in den Fußball-Ruhestand verabschiedet haben oder kurz davor stehen, soll der Aichwalder den Umbruch einleiten. Bei der WM in Russland 2018 war die Mannschaft Dritter geworden, zuletzt in Katar war nach der Vorrunde Schluss. Gerday: „Immer, wenn es Zeit war, etwas zu gewinnen, sind wir gegen einen Großen gescheitert.“
Als die Roten Teufel werden in Deutschland die Kicker des 1. FC Kaiserslautern bezeichnet. In Belgien ist es die Nationalmannschaft. Die Fans sind ähnlich enthusiastisch. Domenico Tedesco, der Rote Teufel vom Schurwald. Nach den Siegen in der EM-Qualifikation in Schweden und im Freundschaftsspiel gegen Deutschland („Für die belgischen Fans hat es die Bedeutung eines Qualifikationsspiels“, sagt Gerday) wissen alle Belgier, wer Domenico Tedesco ist. Und viele, dass er aus Aichwald kommt und wie schön es dort ist.
sip/hin / Foto: dpa