Detlef Gründel hat ein Bild von den Erdbebenfolgen in Nepal bekommen – Grenzblockade zu Indien verschlechtert die Versorgungslage
Detlef Gründel ist ein profunder Kenner Nepals, von Land und Leuten, der politischen Verhältnisse dort und der Not nach dem Erdbeben. Im April dieses Jahres bebte die Erde Nepals mit der Stärke 7,8. Mehr als 9000 Menschen starben, Hunderttausende sind obdachlos. Der 68-jährige Gründel, Kinder-Psychologe in Rente, reist seit dem Jahr 1994 in die Himalaya-Region, zuletzt vor allem nach Nepal. Vor einigen Jahren hat der Hohengehrener den Verein Mahadevi gegründet, der in einem der ärmsten Länder der Welt direkte, projektbezogene Hilfe leistet. Im November kehrte er zurück von seiner bislang letzten, von ihm organisierten Gruppenreise nach Nepal. Grund genug, um Fragen zur Lage dort zu stellen.
Welches Bild hat sich Ihnen in Kathmandu, in den Orten der Umgebung und in den Bergen geboten, als Sie die Erdbebengegend im November bereisten?
Gründel: Im Kathmandu-Tal sind viele Dörfer ganz zerstört, in den Städten haben viele Häuser Risse und müssen mit Balken gestützt werden. In Kathmandu selbst habe ich mir die Zerstörungen schlimmer vorgestellt. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man auch dort Risse in den Gebäuden, die diese schwer bewohnbar und anfällig für kommende Beben machen. Beim Anblick mir zuvor schon bekannter Dörfer in anderen Tälern hatte ich teilweise Tränen in den Augen. Dort sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, kaum ein Haus ist noch bewohnbar. Die Leute leben in Notunterkünften aus Bambus oder Blech, die ausländische Hilfsorganisationen aufgestellt haben.
Der Staat ist in den vergangenen Jahren politisch etwas zur Ruhe gekommen, auch wenn seit geraumer Zeit über eine Verfassung gestritten wird. Wie sieht es mit den Möglichkeiten der nepalesischen Selbsthilfe aus?
Gründel: Der Staat ist absolut überfordert, sowohl logistisch als auch finanziell. Familien mit zerstörtem Haus haben umgerechnet 150 Euro bekommen, das ist auch für nepalesische Verhältnisse ein Klacks. Es gibt einen internationalen Hilfsfonds, der noch nicht abgerufen worden ist, weil Nepal dies strukturell und logistisch nicht bewältigt. Der Staat bekommt es nicht hin, Güter und Geld zu verteilen. Ohne ausländische Unterstützung läuft gar nichts.
Hilfsorganisationen wiederum beklagen mangelnde Vorgaben und eben Koordination des Staates. Wie kommt der Wiederaufbau voran?
Gründel: Viele Häuser sind abgestützt, Straßen gereinigt und Ziegel gestapelt. Beim Wiederaufbau selbst hat sich bislang aber nur sehr wenig bewegt. In einem von mir besuchten Dorf wurde jetzt erst ein Gremium gebildet, das entscheiden soll, wie denn gebaut werden soll: historisch oder modern. Für eine erdbebensichere Bauweise fehlt das Kapital. Nur ganz vereinzelt schaffen es Familienclans, das Heim wieder zu errichten.
Welchen Eindruck haben die Menschen auf Sie gemacht: hoffnungslos oder blicken sie halbwegs optimistisch nach vorne?
Gründel: Nach außen wirken die Nepalesen stets freundlich und haben über die Jahre gelernt, mit Krisen umzugehen. Nun kommen aber nicht nur die Folgen des Erdbebens hinzu, sondern auch die Auswirkungen der Blockaden an der indischen Grenze. Durch die wird die Versorgungslage für die ganze Bevölkerung eng. Daher ist nicht nur Not zu spüren, sondern auch Groll gegenüber Indien.
Durch die Blockade einer ethnischen, einst aus Indien eingewanderten Minderheit ist der Warenverkehr zum Erliegen gekommen?
Gründel: Es gibt wenige Stellen, an denen Trucks noch reinkommen. Das sind aber illegale Wege und viel zu wenig Waren. Wenige Lastwagen rollen über die chinesische Grenze, aber dort fehlt die ganze Infrastruktur. Das Angebot etwa an Benzin und Medizin ist in Nepal viel zu knapp. Der Schwarzmarkt blüht und treibt die Preise nach oben. Es gibt kaum Gas, deshalb werden Wälder abgeholzt.
Funktioniert während des Winters zumindest die Notversorgung?
Gründel: Das, was ich gesehen habe: ja. Dort hatten alle zumindest ein Notdach über dem Kopf.
Nepal ist auf Tourismus angewiesen. Sind die Besucherzahlen seit dem Erdbeben zurückgegangen?
Gründel: Ja. Es wird geschätzt, dass etwa ein Viertel weniger Touristen kamen als zuvor. Und wenn die Versorgungslage nicht besser wird, ist das auch keine Werbung.
Sollte man ein schlechtes Gewissen haben, weil man in ein notleidendes Land reist?
Gründel: Die Frage haben wir uns als Gruppe vor der Reise im Herbst auch gestellt. Wir haben entschieden zu fliegen. Zum einen, um Solidarität zu zeigen. Aber auch, um Geld hinzubringen. Tourismus ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor in Nepal.
Wie können Deutsche helfen?
Gründel: Spenden sind notwendig. Natürlich leisten die großen Hilfsorganisationen vor Ort wichtige Hilfe. Wichtig ist, eine Organisation zu finden, der man vertraut und bei der das Geld nachweislich dort ankommt, wo es benötigt wird. Es macht durchaus auch Sinn, vertrauenswürdige nepalesische Hilfsorganisationen ausfindig zu machen. Aber das Geld sollte keiner korrupten Regierungsorganisation anvertraut werden. ch / Foto: Gründel
Info: www.verein-mahadevi.de