Die Kämpfer von der Frühchenstation

Herausforderungen mit Frühgeborenen am Esslinger Klinikum – Mailo Jackson wog bei der Geburt nur 320 Gramm

Nüchtern wird sie Neonatologie genannt, die Versorgung und Behandlung von Frühgeborenen. Doch dahinter verbergen sich Dramen und Freude, Sorgen und Glücksgefühle. Das Wunder der Geburt – es wird in diesem Bereich nicht selten mit einer Handvoll Mensch greifbar. So wie bei Mailo Jackson, der am Esslinger Klinikum bei der Geburt gerade einmal 320 Gramm wog. Ein Gewicht, das drei Äpfeln entspricht, verdeutlicht Christian von Schnakenburg, der Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche in Esslingen. Der Kleine hat überlebt – als bislang kleinstes Baby, das in Esslingen zur Welt kam. Vor Kurzem wurde dies den Eltern Jasmin Ilzhöfer und Martin Nevella aus Deggingen (Landkreis Göppingen) urkundlich bestätigt. „Wir sind mittlerweile absolut happy“, sagt Ilzhöfer und lobt die Versorgung am Klinikum. Mailo Jackson lebt seit einigen Monaten zu Hause in Deggingen – ganz ohne Schläuche und elektrische Überwachungsgeräte.

Doch die sind anfangs nötig, um den Frühchen die Überlebenschancen zu vergrößern. Um als Level-1-Perinatalzentrum – von Schnakenburg spricht von der Bundesliga – anerkannt zu werden, müssen jährlich mindestens 14 Kinder mit einem Geburtsgewicht unter 1250 Gramm behandelt werden. In Esslingen gab es in diesem Jahr bereits wieder mehr als 20 solcher Fälle – von rund 1800 Geburten insgesamt. Und die Neonatologie hat in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Geblieben ist die Herausforderung mit den laut von Schnakenburg „ganz besonderen Patienten“.

Normalerweise bleiben Babys bis zur 40. Schwangerschaftswoche im Mutterbauch, kommen sie vor der 37. Woche zur Welt, gelten sie als Frühchen. Ab der 23. Woche bescheinigen Mediziner Überlebenschancen, vorher sei die Lunge in der Regel zu unreif, sagt von Schnakenburg. Die ganz Frühen beziehungsweise Leichten werden zunächst auf der Intensivstation in den Inkubator gelegt. Die Behandlung von Frühchen ist in jedem Fall komplex: Infektionen vermeiden, die Kleinen beatmen und ernähren, Hirnblutungen und Folgeschäden entgegenwirken. Schon allein das „rein Manuelle, das Legen der Schläuche“, sei eine Herausforderung, verdeutlicht der Chefarzt. Möglichst schnell sollen Mutter und Vater Hautkontakt zum Kind aufnehmen. Das geschieht beim sogenannten Känguruhen, wenn die Kleinen aus dem Bettchen genommen und den Eltern auf den Oberkörper gelegt werden. Geht alles gut, bleiben die Kinder normalerweise bis kurz vor dem errechneten Geburtstermin auf der Station. Dort ist noch etwas anderes wichtig. „Wir dürfen dabei die Eltern nicht vergessen“, sagt von Schnakenburg.

Für die Kinder und die in dieser Stresssituation verunsicherten Eltern wird in Esslingen ein Betreuungsnetz geknüpft, das bis zur Nachsorge zu Hause reicht, vom Sozialpädiatrischen Zentrum koordiniert und mit den Kinderärzten abgestimmt wird. Und es gibt auf der Frühchenstation ein Eltern-Café, das von ehemaligen Frühchen-Eltern ehrenamtlich betrieben wird. Daniela Marx zählt zum Team. „Wir verstehen uns als Brücke zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Eltern“, sagt sie. Nicht zuletzt mit den eigenen Erfahrungen könnten die Erfahrenen den Unsicheren Mut machen. Das geschieht derzeit auch mit einer Ausstellung, die fotografisch die Entwicklung von auf der Station geborenen Frühchen darstellt.

2017 besteht die Frühchenstation im Haus 9 des Esslinger Klinikums seit 40 Jahren. Vor wenigen Jahren wurde sie von der dritten in die zweite Etage verlegt und völlig neu gestaltet. Im Jahr 2015 kamen dort 31 Kinder mit einem Gewicht unter 1500 Gramm zur Welt, zwölf davon wogen sogar weniger als 1000 Gramm. Mailo Jackson kam vor einigen Monaten gerade mal auf 320 Gramm. Doch auch er, von seinen Eltern als Kämpfer bezeichnet, erfreut sich heute – rund vier Kilogramm schwer – des Lebens. Gerade zu Weihnachten eine ganz besonders frohe Botschaft. Ch

 

320 Gramm hat Mailo Jackson gewogen, als er viel zu früh das Licht der Welt erblickte. Für die Eltern Jasmin Ilzhöfer und Martin Nevella ein Schock in der 26. Schwangerschaftswoche. Doch der Kleine hat überlebt – das Leben bleibt für die Familie aber bis heute eine Herausforderung. Die Eltern im Gespräch mit dem ECHO:

Wie groß war der Schock, war die Angst bei der Geburt?
Nevella: Groß. Eigentlich wollten wir die Geburt möglichst lange hinausziehen, jede weitere Woche im Bauch erhöht die Überlebenschance. In der 22. Schwangerschaftswoche kam die Info, dass die Versorgung über die Nabelschnur schlecht funktioniert und unser Schatz zu klein ist. Und bald darauf kam auch schon der Kaiserschnitt.
Ilzhöfer: Ich hatte zwei Tage nach der Geburt ganz andere Schwierigkeiten, fehlten mir doch die letzten Monate der Schwangerschaft. Wenn das Kind nur im Kasten liegt, ist es schwierig, eine Verbindung aufzubauen.

Welche Rückschläge gab es?
Ilzhöfer: Drei Tage nach der Geburt hatte Mailo Jackson eine starke Blutung in der Lunge. Uns wurde nahegelegt, uns eventuell von ihm zu verabschieden. Aber unser Kämpfer hat‘s geschafft.
Nevella: Der erste Monat war ein stetes Auf und Ab, psychisch nicht zu ertragen. Es war die Hölle.

Wie war die Betreuung?
Ilzhöfer: Dem Esslinger Klinikum würde ich mein Frühchen jederzeit wieder anvertrauen.

Hat sich das Leben mittlerweile normalisiert?
Ilzhöfer: Nein. Sechs Stunden am Tag gehen allein fürs Füttern drauf. Mailo Jackson hat seinen eigenen Kopf, bietet uns jede Woche neue Probleme an. Vom Kopf her ist er sechs Monate alt, vom Körper her aber nicht.
Nevella: Wir sind aber zuversichtlich. Es wird langsam, aber es wird.

Foto: dpa


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert