Die Praktiker wissen, wo es hapert

Landkreis Esslingen stellt Integrationsplan vor – Mehr als 130 Handlungsempfehlungen

Menschen, die nach Deutschland einwandern, brauchen Starthilfe, um sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Im Landkreis Esslingen arbeiten viele haupt- oder ehrenamtliche Akteure für deren Integration. Ihre Erfahrung und ihr Wissen sind in den Integrationsplan eingeflossen. Im Dezember hat der Kreistag diesen verabschiedet, jetzt wurde er vor vielen in der Integrationsarbeit Tätigen präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Zehn Handlungsfelder definiert der „Integrationsplan 2017“, von Wohnen über Bildung, Arbeit und Gesundheit bis hin zur öffentlichen Verwaltung. Alle werden unter dem Aspekt beleuchtet: Was ist notwendig, damit sich Zugewanderte in diesem Bereich zurechtfinden? Daraus ergeben sich mehr als 130 Handlungsempfehlungen, die möglichst in den bestehenden Strukturen umgesetzt werden sollen. Am Plan mitgewirkt haben Soziale Dienste, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, Ämter und auch die Vertreter von Ehrenamtlichen. Denn die Verantwortung für Integration liege bei beiden Seiten, sagte Mariam Koridze Araujo, die Integrationsbeauftragte des Landkreises: bei der aufnehmenden Gesellschaft ebenso wie bei den Zuwanderern.
Mit „Zuwanderern“ sind nicht nur Flüchtlinge und Asylbewerber gemeint, sondern ausdrücklich alle Migranten, auch hier Aufgewachsene und Menschen, die mittlerweile einen deutschen Pass haben, oder EU-Ausländer. Die Ankunft vieler Geflüchteter in den vergangenen Jahren hat allerdings die Situation verschärft und manchen Stein ins Rollen gebracht. So waren Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen zwar schon vorher knapp, aber erst jetzt setzen sich viele Kommunen mit der Schaffung von günstigem Wohnraum auseinander. Die Handlungsempfehlungen des Integrationsplans heben aber auch darauf ab, bestehenden Wohnraum vor Ort zu akquirieren.
Zwei Praxisbeispiele dafür liefern die Stadt Leinfelden-Echterdingen und die Gemeinde Frickenhausen. In Letzterer habe man von Anfang an auf dezentrale Unterbringung gesetzt und aktiv mitgewirkt, „dass das Zusammenleben in der Nachbarschaft gut klappt“, berichtete die dortige Integrationsbeauftragte Andrea Müller. Bei der Belegung habe man auf eine verträgliche Mischung geachtet und die neuen Mieter auch in Sachen Ordnung, Mülltrennung und Sauberkeit beraten – denn das sind Themen, die im Alltag oft zu Konflikten führen.
Leinfelden-Echterdingen suchte und sucht weiterhin mit einer großen Kampagne nach privatem Wohnraum. Entspricht er den Anforderungen, tritt die Stadt selbst als Mieterin auf, wobei die Verträge in der Regel auf zwei Jahre begrenzt sind. Auch hier schließt sich eine enge Betreuung der neuen Bewohner an, im Einzelfall habe man auch schon mal eine Familie wieder in eine Sammelunterkunft zurückverlegt, weil das Zusammenleben nicht klappte. „Das ist auch das Angebot, das wir von Anfang an den Vermietern gemacht haben“, sagt Peter Löwy, Sozialamtsleiter der Stadt.
Den vielen Hürden im Alltag haben sich auch die „Care-Wochen“ in Ostfildern gewidmet, wobei die Anspielung auf die schwäbische Kehrwoche durchaus bewusst gewählt wurde, bietet sie doch selbst für zugezogene Deutsche einige Fallstricke. Das Projekt sollte Flüchtlingen deutsche Gepflogenheiten und das deutsche Hilfesystem näherbringen, denn oft „erreichen die Informationen sie nicht“, so Nathalie Stengel-Deroide von der Stadtverwaltung Ostfildern.
In knapp zehn Modulen ging es ums Jobcenter, ums Gesundheitssystem, um Kinderbetreuung, Schulen, die Rolle der Polizei, die Schuldnerberatung und andere öffentliche Einrichtungen. Aus diesen Modulen wird eine Art Handbuch entstehen, auch haben sich einige Teilnehmer bereit erklärt, als „Integrationslotsen“ ihr neues Wissen weiterzugeben.
Dass Sprache der zentrale Schlüssel zur Integration ist, steht außer Frage. Der Integrationsplan gibt eine Übersicht über das bereits bestehende vielfältige Sprachkursangebot im Kreis, das sich allerdings überwiegend an Geflüchtete mit guter Bleibeperspektive richtet. Bei Asylbewerbern mit unklarer Perspektive sei das Angebot deutlich magerer, berichtete die Bildungskoordinatorin des Kreises, Yanet Tesfai. Speziell für diese Personen startet deshalb in diesem Jahr ein Projekt für den berufsbezogenen Spracherwerb. Gerade die Menschen mit geringer Bleibeaussicht leiden sehr unter ihrer Situation. So berichteten Unterstützer von großer Frustration bei Flüchtlingen aus Gambia und bei den Ehrenamtlichen, die sie betreuen. Landrat Heinz Eininger forderte in seiner Ansprache, die Verfahren generell schneller abzuwickeln. Die Alternative zur Abschiebung sei die freiwillige Ausreise, wobei die Rückkehrberatung des Kreises und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen beim Neustart in der Heimat helfen könnten.
Schnelle Entscheidungswege, beim Aufenthalt wie bei Beschäftigungserlaubnissen, sind eine Hauptforderung der Praktiker in der Integrationsarbeit. Das zeigte sich bei der Diskussion im Landratsamt. Die Teilnehmer unterstrichen auch, wie wichtig ein einheitliches Vorgehen der verschiedenen Ausländerbehörden wäre und dass bereits hier Lebende und Flüchtlinge nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sei es beim Wohnraum oder bei der Kinderbetreuung. Die Unterstützung der Ehrenamtlichen war ebenso ein Punkt wie die Unterstützung von Vereinen – oder zum Beispiel, dass Formulare in einer einfachen Sprache gehalten sein sollen.
Erste konkrete Maßnahmen hat der Landkreis bereits beschlossen, 580 000 Euro sollen dafür zunächst investiert werden. Dazu zählen Programme, mit denen Kinder und Eltern unterstützt und ans deutsche Bildungssystem herangeführt werden, aber auch Sprachkurse, mehrsprachige Informationsbroschüren oder ein Dolmetscherkonzept.  aia / Foto: dpa


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