Nach langer Diskussion ist der Namensstreit entschieden – Neuer Esslinger Neckarüberweg wird Mettinger Brücke heißen

Monatelang wurde in Esslingen diskutiert, ob der neue Neckarüberweg bei Mettingen wie sein Vorgänger nach Hanns Martin Schleyer benannt werden soll. Nun ist der Namensstreit entschieden. Grüne, SPD, Linke und FÜR hatten sich Ende Juli im Gemeinderat für die Bezeichnung Mettinger Brücke ausgesprochen. Die Ratsmehrheit teilte die Einschätzung von Stadtarchivar Joachim Halbekann, dass Schleyer mit Blick auf dessen Rolle in der NS-Zeit aus heutiger Sicht kein passender Namensgeber mehr für ein kommunales Bauwerk sein sollte.
Der frühere OB-Kandidat Gebhard Mehrle und der Musiker Jörg Krauß hatten im März angeregt, den alten Namen nicht einfach auf die neue Brücke zu übertragen: „Die Umbenennung wäre ein Akt der Ehrlichkeit, gerade auch vor unseren Versäumnissen in der Vergangenheit.“ Grüne und Linke hatten dann im Mai gefordert, einen anderen Namen zu suchen. Ihr Argument: Die neue Brücke, die Mettingen, Brühl und Weil verbindet, könne „nicht weiterhin nach einer Person benannt sein, deren NS-Vergangenheit mittlerweile sehr gut erforscht und öffentlich ist.“ Der Sohn des Namensgebers, Jörg Schleyer, hatte derweil betont: „Dass mein Vater damals – so wie viele andere auch – Teil des NS-Systems war, ist unstrittig. Aber nicht jeder war per se ein Mörder. Um seine Rolle zu bewerten, genügt es nicht, ihn nur als alten Nazi abzutun.“
Stadtarchivar Halbekann spricht von einem „schwierigen Abwägungsprozess“. Der frühere Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer war eines der prominentesten Opfer des Terrors der Roten-Armee-Fraktion (RAF), die ihn 1977 entführt und dann ermordet hatte. Unter dem Eindruck der Ereignisse hatte der Gemeinderat 1978 entschieden, die damalige Mettinger Brücke nach ihm zu benennen, weil man fand, dass Schleyer „als Beispiel eines Demokraten für einen jeden von uns stand und für uns alle gestorben ist“.
Besondere Situation
Halbekann verweist auf „die besondere Situation, in der dieser Beschluss gefasst wurde“. Schleyers Rolle in der NS-Zeit sei damals bekannt gewesen, angesichts seiner Ermordung jedoch nicht thematisiert worden. Heute sei es „unvermeidlich, andere Maßstäbe anzulegen als 1978“. Der Stadtarchivar findet, dass es in dieser Frage kein Richtig oder Falsch gibt. Nach Abwägung aller Argumente empfahl er einen neuen Namen. Ein Argument sei, dass es sich um ein neues Bauwerk handelt. Und auch wenn man Schleyer trotz seiner Beteiligung an der Ausbeutung des Protektorats Böhmen und Mähren nicht zu den Haupttätern des NS-Regimes zählen könne, habe er „mindestens systemstabilisierend funktioniert“.
Andreas Fritz (Grüne) findet es selbstverständlich, der neuen Brücke nicht den alten Namen zu belassen. Schleyers Ermordung und die seiner Begleiter durch die RAF sei durch nichts zu relativieren. Eine wehrhafte Demokratie brauche jedoch eine zeitgemäße Erinnerungskultur. Martin Auerbach (Linke) begrüßte es, dass der Vorstoß zu einer Neubenennung des Mettinger Neckarüberwegs aus der Bevölkerung gekommen war. Andreas Koch (SPD) fand, Schleyer eigne sich heute weniger denn je zum Namenspatron , er habe „sich zu keinem Zeitpunkt vom eigenen politischen Irrweg distanziert“.
Alexander Kögel (Freie Wähler) fand, das Unrecht des NS-Systems sei genauso zu verurteilen wie die RAF-Verbrechen. Das sah Rena Farquhar (FDP) ähnlich: „Wenn wir Spuren der Vergangenheit tilgen, gehen uns Anknüpfungspunkte zur historischen Diskussion verloren.“ Dennoch fand sie, für beide Positionen im Namensstreit gebe es gute Argumente. Tim Hauser (CDU) sah in der Stadt ein differenziertes Meinungsbild, beide Haltungen ließen sich wohl begründen. Der Kontext, in dem der damalige Rat die Brücke nach Schleyer benannt hatte, habe sich nicht geändert. Ein klares Ja zur Umbenennung kam von Sigrid Cremer (FÜR). Der Oberbürgermeister Matthias Klopfer verwies derweil auf „ein ausgewogenes Gutachten“ des Stadtarchivars, und er bedankte sich bei den Initiatoren der Namensdebatte.
adi / Foto: Roberto Bulgrin