100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie: Ohne Einstein kein funktionierendes Navi
Angeblich waren es nur drei beschriebene Seiten, die der junge Wissenschaftler Albert Einstein vor 100 Jahren an der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin vorgestellt hat. Mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) hat er jedoch das Weltbild der Physik von Grund auf revolutioniert. Doch welche Auswirkungen hat die bahnbrechende Theorie für unseren Alltag? Wie viel Einstein gibt es in unserem Leben? Gar nicht so wenig, wie Spezialisten aus der Region dem Wochenblatt ECHO versichern.
„Einsteins Arbeiten bedeuten nicht nur neue Erkenntnisse oder Anwendungen, sondern auch die Möglichkeiten, bekannte Naturtatsachen exakt erklären zu können“, sagt Hanno Käß. Der promovierte Physiker ist Dekan der Fakultät Grundlagen an der Hochschule Esslingen und unterrichtet Studenten technischer Studiengänge in Physik.
Zu den alltäglichen Errungenschaften, die wir Einstein verdanken, gehört die Satellitennavigationstechnik. Fast jeder nutzt ein Navi im Auto oder den Wegweiser auf dem Smartphone. Ohne Einsteins Lehre würden die Nutzer dieser Orientierungshilfe allerdings ins Leere laufen.
„Wer heute sein Navi einschaltet, findet auch mit Hilfe von Albert Einstein zum Ziel“ sagt Hanno Käß. Einstein hat die genaue Zeitmessung ermöglicht. Das geschah auf Grundlage der Erkenntnis, dass Uhren schneller laufen, wenn sie weiter weg vom Erdmittelpunkt und damit weiter von Masse entfernt sind – also ist die Zeit relativ.
Auf der anderen Seite senden die Navigationssatelliten ihre Ortungssignale mit 300 000 Kilometer pro Sekunde aus dem All zur Erde. Daher würde ebendieser Unterschied Reisende in die Irre führen. Und zwar deutlich: „So könnten sich kleinste zeitliche Verzögerungen nach einer anfänglichen Synchronisation der Satellitenuhr innerhalb eines Tages auf Fehler im Bereich von Mikrosekunden summieren und so räumliche Abweichungen in der Größenordnung von etwa 100 Metern auf der Erde zur Folge haben“, sagt Käß. Weil dieser Effekt bekannt ist, kann er berücksichtigt und können Unterschiede herausgerechnet werden. „Erst die Allgemeine Relativitätstheorie ermöglicht die gewünschte Genauigkeit der Satellitennavigation“, so Käß.
Praktische Anwendungen, ausgehend von der ART, gibt es auch im zivilen Flugverkehr. Die Navigation über den Kompass, die sich am Nordpol ausrichtet, ist im Flugverkehr mittlerweile durch sogenannte Kreiselkompasse ersetzt worden. Auch dabei liegen Erkenntnisse Einsteins zugrunde: Licht ist im Weltgefüge die einzige Konstante. Licht bewegt sich immer gleich schnell, die anderen Koordinaten wie Raum und Zeit müssen sich dem unterordnen und anpassen. Käß erklärt es so: „Lässt man Lichtstrahlen in entgegengesetzten Richtungen in einem optischen Laser-Kreisel umlaufen und versetzt dieses System in Rotation, erhält man ein Überlagerungssignal, das in charakteristischer Weise von der Drehrate abhängt.“
Da man dieses Signal präzise messen und mit den Erkenntnissen aus der Relativitätstheorie auch sehr genau auswerten kann, lässt sich mit einem optischen Kreisel viel genauer navigieren als mit dem herkömmlichen Kompass.
Laut Käß wissen wir seit Einstein auch, dass sich Masse in Energie verwandeln lässt. So wie bei der Kernspaltung oder der Kernfusion. „Unsere Sonne ist ein solcher Fusionsreaktor“, erklärt Käß. „Die Relativitätstheorie erlaubt die Voraussage, wie lange unser Zentralgestirn noch arbeitet.“
Die berühmte Formel E = mc² steht für Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat. Das heißt, dass Masse nichts anderes ist als Energie, lediglich in einer anderen Erscheinungsform. Vieles, das Einstein in der Relativitätstheorie erklärt hat, ist im Laufe der Zeit nachgewiesen worden, etlichem ist man jedoch noch auf der Spur. So haben Wissenschaftler kürzlich zwei Satelliten – LISA Pathfinder mit Namen – ins All geschickt. Sie überprüfen am Rand des Erdorbits, dort, wo sich Erdanziehung und Sonnenanziehung die Waage halten, ob sich die Gravitation, wie Einstein behauptet hat, ähnlich wie das Licht und der Schall auch in Wellen ausbreitet. Die Satelliten messen ihren Abstand voneinander. Sollten sie Gravitationswellen ausgesetzt sein, so würden ihre Abstände von Zeit zu Zeit geringfügig variieren.
Das Ziel des Experiments ist die Frage aller Fragen zu beantworten: Was war vor dem Urknall? bob / Foto: dpa