In Esslingen orientiert sich die Fortschreibung des Mietspiegels bis 2024 erstmals nicht an der Inflation

Der Mietspiegel ist ein Instrument, das Streit zwischen den Mietparteien verhindern hilft, denn er liefert handfeste Fakten zur ortsüblichen Vergleichsmiete. In Esslingen sah es kurz so aus, als könnte das Werkzeug nun selbst zum Zankapfel werden. Es geht um den bestehenden Mietspiegel 2022, der um zwei Jahre fortgeschrieben werden muss. Das ist ein übliches Vorgehen. Der Mietspiegel, den es in Esslingen seit 1975 gibt und der seit 2002 nach wissenschaftlichen Kriterien als qualifizierter Mietspiegel vorliegt, wird mittels einer aufwendigen Umfrage alle vier Jahre ermittelt.
Zur Halbzeit dürfen die Werte dann auf einfachere Art und Weise entweder per Stichprobe erhoben werden oder sie orientieren sich am Verbraucherpreisindex und damit an der Inflation. Doch dieses Mal konnte sich die von der städtischen Stabstelle Wohnen koordinierte AG Mietspiegel nicht auf das weitere Vorgehen einigen. In dem Arbeitskreis sitzen unter anderem Wohnungsmarktexperten von Mieterbund, Haus und Grund Esslingen, der Baugenossenschaft Esslingen und Esslinger Wohnungsbau. Die Stadt hatte vorgeschlagen, den Mietspiegel zum ersten Mal nicht wie seit vielen Jahren üblich per Index fortzuschreiben, sondern die Mietpreisentwicklung erneut abzufragen, allerdings mit einem abgespecktem Fragebogen und mit kleinerem Datensatz. Die Stadt sieht das in der aktuellen Situation als „einzig gangbaren Weg“, um den Wohnungsmarkt realistisch abzubilden. Das unterstützt auch die Mieterseite in der AG Mietspiegel. Dagegen hatten die Vermietervertreter für diesen Fall angekündigt, ihre Zustimmung zum Mietspiegel zu verweigern.
Für beide Seiten geht es um viel. Der Verbraucherpreisindex ist derzeit vor allem von den extrem hohen Energie- und Lebensmittelpreisen als Folge des Ukrainekrieges geprägt. Würde man den Index für die Mietspiegel-Fortschreibung heranziehen, könnten die Basis-Netto-Kaltmieten deshalb um satte 15,8 Prozent steigen, wie die Stadt vorgerechnet hat.
So weit wird es nicht kommen. Der Esslinger Sozialausschuss hat sich Anfang Februar mehrheitlich für die von der Verwaltung vorgeschlagene Fortschreibungsvariante per Stichprobe ausgesprochen. Spätestens im Dezember 2023 soll es Ergebnisse geben, dann stimmt der Gemeinderat endgültig ab. Ein solcher Beschluss zum Mietspiegel ist neu und trägt einer Gesetzesänderung Rechnung. Seit 2021 gehört ein Mietspiegel zur Pflichtaufgabe für alle Städte über 50 000 Einwohner. Zugleich sind Mieter und Vermieter nun auskunftspflichtig. Auf die Empfehlung der AG Mietspiegel will man in Esslingen aber auch künftig nicht verzichten.
„Es ist keine Abstimmung für oder gegen Eigentümer, sondern eine Wahl für die derzeit passende Methode“, betonte Sozialbürgermeister Yalcin Bayraktar. Das sahen die Vertreter der Fraktionen überwiegend genauso. „Es ist das jetzt einzig richtige Instrument“, so Joachim Schmid von der SPD. „Wir haben einen extremen Ausreißer, den wir nicht heranziehen können“, sagte Annette Silberhorn-Hemminger für die Freien Wähler. Aglaia Handler von der CDU sprach von einer „Sondersituation“. Zustimmung gab es auch von Grünen und Linke. „Angesichts der Haushaltssituation haben wir bei den Kosten echt geschluckt“, monierte Brigitte Häfele. Sie stimmte wie ihr FDP-Kollege Sven Kobbelt dagegen. Die FDP geht davon aus, dass der Peak überschritten sei und sich eine Überzeichnung der Werte beim nächsten Mietspiegel ausgleichen könnte. Die Stadt rechnet mit 10 000 Euro Mehrkosten für die Stichprobe, die aus dem Budget der Stabsstelle getragen werden. Mit Erstellung und Fortschreibung des Mietspiegels ist das Hamburger ALP Institut für Wohnen und Stadtentwicklung beauftragt.
pep / Foto: Roberto Bulgrin