Dekan Paul Magino verabschiedet sich in den Ruhestand – Der Katholischen Kirche will er verbunden bleiben

Auf dem oberen Rand seiner Kaffeetasse steht in roten Lettern „katholikentag.de“. Paul Magino bleibt bei seinen Wurzeln. Doch in welche Richtungen sie wachsen, entscheidet der 72-Jährige selbst. Zum 1. August geht der Seelsorger nach 29 Jahren Dienst als Pfarrer im Raum Wendlingen und 13 Jahren Einsatz als Dekan von Esslingen-Nürtingen in den Ruhestand.
Noch steht sein Name „Paul Magino“ neben der Klingel am Pfarrhaus bei der St.-Kolumban-Kirche in Wendlingen. Doch bald wird er das Schild abmontieren. Denn im Ruhestand möchte sich der Pfarrer eine andere Wohnung im Großraum Stuttgart nehmen. Wenn seine Dienste benötigt werden, sagt er, werde er gerne seelsorgerisch aushelfen. Doch er gehe jetzt bewusst in Rente. Einmal, weil in der Diözese Rottenburg-Stuttgart ab 70 Jahren ein Eintritt in den Ruhestand möglich ist. Und dann, weil er sich noch fit genug fühlt für seine Hobbys – Kultur, Kunst, Musik. Die Rockband Jethro Tull hat ihn früher fasziniert. Heute sind es eher Opern. Die kann er bald öfters besuchen. In ein Rentnerloch mit zu viel freier Zeit werde er nicht fallen. In eine Alters-WG wolle er auch nicht ziehen, und das beruflich bedingte Fehlen einer eigenen Familie oder einer Partnerschaft bedauere er nicht.
Denn sein Lebensweg zeichnete sich schon früh ab. Das christlich geprägte Elternhaus im oberschwäbischen Mengen gab die Richtung vor, kirchlich geführte Internate bestätigten den Kurs, das Theologiestudium in Tübingen war ein weiterer Wegweiser. Doch die endgültige Entscheidung kam mit zwei Auslandsemestern in Wien. In der schönen Donaustadt sei ihm klar geworden, dass er katholischer Pfarrer werden wolle – mit allen Konsequenzen. Aber auch nach seinen eigenen Vorstellungen. Bei dem streitbaren Hans Küng, sagt Paul Magino, habe er als Theologiestudent eine Prüfung abgelegt. Als die katholische Kirche dem Professor die Lehrerlaubnis wegen seiner Zweifel etwa an der Unfehlbarkeit des Papstes entzog, habe er mit zu den Unterzeichnern einer Protestnote gehört. Genützt hat es nichts.
Dennoch: Was Paul Magino als junger Mann beschlossen hat, kann er als reifer Mann kurz vor dem Ruhestand noch immer gutheißen. Die geistliche Laufbahn habe ihn stets erfüllt. Der Zölibat sei für ihn die richtige Lebensform gewesen. Doch er geht nicht so weit, seine eigenen Erfahrungen anderen aufzwingen zu wollen. Er könne sich verheiratete Kollegen und Kolleginnen im Pfarramt vorstellen. Die Ehelosigkeit katholischer Pfarrer solle freiwillig sein und nicht vorgegeben werden. Einsam mache der Zölibat aber nicht, versichert Paul Magino und verweist auf seinen großen Freundeskreis.
Er ist ein lebensnaher Geistlicher, der die Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen kennengelernt hat. Nach seinem Studium und dem Vikariat war er als Jugend- und als Gefängnispfarrer im oberschwäbischen Raum tätig. Die Insassen der Justizvollzugsanstalt kamen auch zu ihm, sagt er, weil er bereit war, die Zigaretten in seiner Tasche mit ihnen zu teilen.
Magino schaut auf die Uhr. Später hat er noch eine Trauung, danach eine Beerdigung, und er kommt gerade von einer von ihm geleiteten Fortbildung. Ein langsames Hinübergleiten in den Ruhestand ist Magino nicht vergönnt. Er ist auch nicht der Typ dafür. Der Geistliche ist auf beruhigende Art umtriebig. Die Ökumene sei ihm wichtig: „Wir haben einen gemeinsamen Stamm, auch wenn die Äste in verschiedene Richtungen wachsen. Konfessionelle Vielfalt empfinde ich als bereichernd.“ Ein Kanzeltausch mit den evangelischen Kollegen gehört für ihn zum Job.
Er sieht sich als Seelsorger für „die ganze Bandbreite an Familiengeschichten“. Die Diözese habe eine unabhängige Stelle für transsexuelle und queere Menschen eingerichtet. Die Deutsche Bischofskonferenz habe eine Segensform für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen. Es bleibe aber jedem Bischof überlassen, ob er sie in seinem Zuständigkeitsbereich einsetze. Die Austrittswelle aus der Katholischen Kirche empfindet Paul Magino als „bedrohlich“. Sie sei aber auch eine Folge der mangelhaften Aufarbeitung der Missbrauchsskandale: „Die Menschen suchen weiter nach einem Sinn im Leben, aber sie suchen sich die Formen ihrer Sinnsuche selbst. Kirche ist nicht mehr die alleinige Antwortgeberin.“ Die vom synodalen Weg geforderten Änderungen seien seiner Ansicht nach richtig. Doch man sei eben auch auf Rom angewiesen, und Veränderungen würden nicht von heute auf morgen gehen. Das Verbot des Pfarramts für Frauen sei mit der Bibel nicht zu erklären, es fuße auf der Tradition der Katholischen Kirche.
Dann stellt er die Tasse mit der Aufschrift „katholikentag.de“ auf den Tisch. Er wird sie wohl in den Ruhestand mitnehmen. Denn Paul Magino ist Katholik mit Haut und Haaren – und mit einem eigenen Kopf.
sw / Foto: Roberto Bulgrin