Ein Leben für die Kultur

Nürtingen trauert um Hildegard Ruoff, die Grand Dame der Kunstszene

Nürtingen trägt Trauer in diesen Tagen: In der Nacht zum 3. Juli ist die Fotografin Hildegard Ruoff im Alter von 100 Jahren gestorben. Ruoff prägte die Kunstszene der Stadt über viele Jahre. „Mit ihr verlieren wir nicht nur eine große Künstlerin, sondern insbesondere auch eine beeindruckende Persönlichkeit“, sagte Oberbürgermeister Johannes Fridrich.

Wer Hildegard Ruoff kennenlernen durfte, der wird diese Frau mit den wachen Augen, dem scharfen Verstand und ihrem großen Herzen nie vergessen. Voller Energie und nicht selten mit einem kleinen Schalk im Nacken, geradeaus und leidenschaftlich in ihrem Tun, begegnete sie den Menschen stets offen und zugewandt, mit großer Neugierde.

An den Öffnungstagen der Ruoff-Stiftung in der Nürtinger Schellingstraße traf man die gebürtige Stuttgarterin oft auf ihrem Platz in der Fensternische an. Meist ins Gespräch vertieft mit einem der vielen Besucher und Freunde – über das Leben, Musik, Lyrik und vor allem natürlich über die Kunst. Bereichernd ein jedes, für Herz, Geist und Seele.

Eine Brückenbauerin

Als Brückenbauerin, als eine Gastgeberin mit leuchtenden Augen, hat sie Nürtingens Altbürgermeister Alfred Bachofer anlässlich der Feierlichkeiten zu ihrem 100. Geburtstag im vergangenen Oktober so treffend beschrieben. Eine Fähigkeit, die Hildegard Ruoff zeitlebens nutzte, um der Kunst und der Kultur viele Türen zu öffnen – in Nürtingen und weit darüber hinaus. „Hildegard Ruoff war eine der prägendsten Figuren der Nürtinger Kunstszene und wird dies auch auf lange Zeit bleiben“, würdigte  OB Johannes Fridrich die Grande Dame der Nürtinger Kunstszene.

Offen und mit scheinbar unstillbarer Energie – so gestaltete Hildegard Ruoff auch die Stiftung, die ihren und den Namen ihres 1986 verstorbenen Mannes Fritz trägt. Kein Elfenbeinturm, nein, ein Ort der Begegnung, der Vielfalt und des Austauschs. Ein lebendiger, pulsierender Ort, der seit seiner Eröffnung im Jahr 2004 immer wieder neue Perspektiven eröffnet, der neugierig macht und neugierig bleiben lässt.

Mit Hildegard Ruoff als Herz und Kopf bietet die Stiftung seither neben der Dauerausstellung von Fritz Ruoffs Werken jährlich vier Sonderausstellungen mit namhaften Künstlern wie Barlach, Stankowski oder Morandi. Zudem nutzte Hildegard Ruoff als Kuratorin das Renommee der Stiftung, um Nachwuchskünstlern Aufmerksamkeit zu verschaffen. Immer wieder auch, um die Arbeiten ihres verstorbenen Mannes in einen neuen Kontext zu setzen.

An seiner Seite kommt Hildegard Ruoff 1947 nach Nürtingen. Begegnet sind sie sich, die gebürtige Stuttgarterin, und er, der junge Künstler, im Kunsthaus Schaller, wo Hildegard Ruoff eine Ausbildung zur Kunsthändlerin machte. Wie gerne hätte sie dabei selbst Kunst studiert, erzählte sie einmal. Der Krieg macht die Pläne zunichte.

Härtling ist häufig zu Gast

In Nürtingen beginnt sie bald, sich auf vielfältige Weise zu engagieren. Setzt sich in den Nachkriegsjahren dafür ein, dass trotz Not Literatur und Kunst ihren Raum haben. Sie baut eine Leihbücherei auf, sammelt und beschafft mit ungeheurem Aufwand immer wieder neue Bücher. Einer, der hier einen Hafen findet, ist Peter Härtling, der später oft im Hause Ruoff zu Gast sein wird. Verbunden bleibt er der Hausherrin bis zu seinem Tod 2017.

In den 60er-Jahren folgen große Kunstausstellungen, die Hildegard Ruoff zusammen mit der Kunstsammlerin Auguste Pfänder regelmäßig in der Nürtinger Stadthalle organisiert. Der Motor: Hildegard Ruoff mit ihrem stetig wachsenden Netzwerk in der Kunstszene. In ihrem Wirken gilt ihr Blick besonders jungen Menschen. Sie an die Kunst und das Zeitgeschehen heranzuführen, in ihnen Begeisterung zu wecken, an ihrem unverstellten Blick teilzuhaben, auch das zeichnet Hildegard Ruoff zeitlebens aus. 2014 übernimmt sie die Patenschaft für den Kunstzweig des Nürtinger Peter-Härtling-Gymnasiums.

Ihre eigene künstlerische Arbeit rückt die Trägerin der goldenen Bürgermedaille, der Staufermedaille und des Daniel-Pfisterer-Preises in den Hintergrund. Zeichnen, skizzieren – das tut sie nur, um das Werk ihres Mannes zu dokumentieren. Akribisch ordnet sie die Arbeiten, verwaltet und katalogisiert sie. Ihre Aufzeichnungen bilden heute den Schlüssel zum Verständnis des künstlerischen Werks Fritz Ruoffs.

Blick für das Besondere

Erst zum 100. Geburtstag gehörten die Wände der Ausstellungsräume in der Schellingstraße den fotografischen Arbeiten von Hildegard Ruoff selbst. Dabei erweist sie sich auch hier als eine hervorragende Beobachterin mit dem Blick für das Besondere.

Nun bleibt ihr Platz in der Nische leer, das Herz der Stiftung hat aufgehört zu schlagen. Ihr Wirken wird jedoch noch lange nachklingen.  mo / Foto: Ralf Just


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