Liegen die Inzidenzzahlen im Landkreis über 100, werden die Lockerungen wieder aufgehoben

Am Sonntagabend überschritt der Sieben-Tage-Inzidenzwert im Landkreis Esslingen erstmalig wieder den Wegmarker 100. Er lag bei 108. Ein Schritt zurück statt der weiteren Öffnungen, auf die so viele gewartet haben? Bleibt er jedenfalls drei Tage lang hintereinander über dieser Grenze, müsste der Handel ab Donnerstag wieder auf Kundentermine im Laden verzichten. Zudem dürften sich dann wieder nur noch Angehörige eines Haushalts mit höchstens einer Person aus einem weiteren Haushalt privat treffen. Museen und Galerien wären fürs Publikum schon nach nur wenigen Tagen der Lockerung wieder ganz tabu. Gruppentraining im Sport für Kinder unter 14 Jahren wäre dann auch nicht mehr möglich. Und Kosmetik-, Nagel-, Massage-, Tattoo-, Sonnen- und Piercingstudios müssten wieder dicht machen.
Damit hätten die behutsamen Öffnungen der vergangenen Tage nicht allzu lange Bestand gehabt. Im Landratsamt ist man bereits dabei, die entsprechende Allgemeinverordnung vorzubereiten. Zumal die steigenden Zahlen nicht auf individuelle, größere Ausbrüche an einzelnen Einrichtungen zurückzuführen sind. „Wir verzeichnen derzeit zum Beispiel viele familiäre Cluster, auch mit Virusvarianten“, beschreibt Landratsamtssprecherin Andrea Wangner das aktuelle Infektionsgeschehen. Seit dem 20. Januar habe man im Kreis rund 600 Fälle der britischen Corona-Variante gelistet. Die Pflegeheime seien mittlerweile alle durchgeimpft. „Es trifft jetzt nicht mehr die älteren Menschen, sondern vor allem die 20- bis 59-Jährigen.“
Aus den Schulen seien dem Gesundheitsamt in der vergangenen Woche 32 Corona-Fälle gemeldet worden, aus den Kitas 42. Dass seit Montag nach den Abschlussklassen auch wieder alle Grundschüler und die Fünfer und Sechser im Präsenzunterricht sitzen, ist heftig umstritten. Gereon Basler, Schulleiter des Esslinger Georgii-Gymnasiums, das vor wenigen Tagen wegen drei Corona-Mutationsfällen noch annähernd die gesamte Kursstufe in Quarantäne schicken musste, spricht von einem Spagat, den Lehrer, Schüler und Eltern leisten müssten.
Schnelltests ausgeweitet
„Man hätte sich schon gewünscht, dass mit der Schulöffnung auch eine entsprechende Teststrategie verbunden ist“, sagt Esslingens Sozialbürgermeister Yalcin Bayraktar. Die Stadt versucht trotz aller Unklarheiten derzeit alles, dass ihre Bürgerinnen und Bürger so schnell wie möglich an Schnelltests herankommen – mit Testzentren, mobilen Testteams oder privaten Initiativen.
Im Einzelhandel sitzt der Frust ganz tief. Wider Erwarten sei das Einkaufen nach Terminvergabe „sehr gut“ angenommen worden, sagt Alexander Kögel, Chef des gleichnamigen Modehauses und Sprecher der City-Initiative Esslingen. „Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll, wenn wir wieder schließen müssten. Ich habe mein ganzes Frühjahrssortiment da und mache womöglich wieder keine Umsätze.“ Kögel verweist auf Fachleute, die im Einzelhandel keinen Treiber des Infektionsgeschehens ausmachen.
Im Einzelhandel hatte sich vergangene Woche zumindest ein Hoffnungsschimmer abgezeichnet – trotz aller Unsicherheit angesichts der Pandemieentwicklung. Blumenläden, Gartenmärkte, Buchhandlungen und Baumärkte haben mit Quadratmeter-Vorgaben je Kunde wieder regulär geöffnet – und die Kundschaft machte von den Möglichkeiten rege Gebrauch. Friseure durften schon eine Woche zuvor wieder zur Schere greifen, Termine waren in aller Regel für die ersten Tage und Wochen schnell ausgebucht. Es blieben jedoch die Händler, denen lediglich eine Teilöffnung zugestanden wurde.
Für den Kauf von Anzug, Schuhen, Sportklamotten oder auch Geschirr wurde „Click & Meet“ installiert, wenn sich die Inzidenzzahlen denn zwischen 50 und 100 einpendelten. Die Variante „Click & Collect“ gilt nach wie vor. Esslingens Citymanager Thomas Müller hat bis Ende voriger Woche erkannt, dass mit den neuen Möglichkeiten „jeden Tag wieder etwas mehr Bewegung in der Stadt“ gekommen sei. Auch wenn die Erfahrungen in den Geschäften ganz unterschiedlich sind. Mal werde das Kundeninteresse als sehr zurückhaltend beschrieben, mal als überaus positiv.
Verunsicherung ist groß
Annemarie Kolbe betreibt in Plochingen mit „Bodywear“ einen Laden für Dessous, Wäsche und Bademode. „Die Leute rufen sehr verhalten an“, gab sie ihre „Click & Meet“-Erfahrung wieder. Die Verunsicherung sei eben nach wie vor groß, zumal niemand wisse, in welche Richtung es weitergeht. Mit Sorge beobachtet Kolbe die steigenden Inzidenzzahlen und mögliche neuerliche Lockdown-Regeln. Sie hofft, dass möglichst rasch Impfungen beim Hausarzt möglich sind.
Holger Heldmaier, Inhaber von Blumen Sonn in Nellingen, hat vergangene Woche nicht nur erkannt, dass wieder Leben eingekehrt war in die Einkaufsmeile Hindenburgstraße, sondern dass „die Leute Bedarf an etwas Schönem haben“. Sein Geschäft lief – nicht von den „Click & Meet“-Grenzen eingeschränkt – wie in Vor-Lockdown-Zeiten.
Unsicherheit besteht auch, weil in den Landkreisen Unterschiedliches gilt. Denn unter einer Inzidenz von 50 dürfen die Läden sogar ohne Terminvergabe öffnen. Davon kann auch Thomas Flöss vom gleichnamigen Sportgeschäft in Esslingen ein Lied singen. In seiner Filiale in Waiblingen darf er öffnen, weil der Rems-Murr-Kreis unter dem 50er-Wert lag (zumindest Stand Ende vergangener Woche).
Aber auch in seinem Geschäft in Göppingen durften Kunden trotz einer Inzidenz über 50 ohne Termin einkaufen – allerdings nur wenige Tage, dann wurde die Regelung wieder einkassiert. Thomas Flöss kann aber mit der Terminvergabe leben. „Das läuft ganz unproblematisch ab. In jedem Fall ist es besser, als geschlossen zu haben“, sagte er nach den ersten Tagen. biz/ch/pep / Foto: Roberto Bulgrin