Die 13. Esslinger Vesperkirche findet wie im Vorjahr pandemiebedingt ausschließlich in der To-go-Variante statt

Vor zwei Jahren war die Esslinger Vesperkirche, konzipiert als gemeinsamer Mittagstisch für Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, in letzter Minute abgesagt worden. Denn das Sozialprojekt in der Frauenkirche gehörte zu den ersten Veranstaltungen, die im Frühjahr 2020 der anbrechenden Pandemie zum Opfer gefallen waren. Weil das auf keinen Fall wieder passieren sollte, hatten sich die Verantwortlichen im vergangenen Jahr für eine To-go-Version entschieden. Auch die Esslinger Vesperkirche 2022 kann nicht gemeinsam an einen Tisch einladen – „obwohl wir das natürlich am liebsten tun würden“, sind sich Bernd Weißenborn, Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Esslingen, und Projektleiter Bernd Schwemm einig. Aber die schwierige Planbarkeit und komplizierte Logistik führen erneut dazu, dass bis 27. März wieder jeden Tag von 12 bis 13 Uhr Tüten mit einer warmen Mahlzeit am Gemeindehaus am Blarerplatz ausgegeben werden. Ein Angebot, das sich nur an Bedürftige richtet.
100 Essen – mit oder ohne Fleisch – hat Schwemm pro Tag bestellt. Der Menüdienst der Sozialstation Esslingen liefert sie, Mitarbeitende aus dem Steuerungsteam reichen sie über die Theke. In jeder Tüte finden sich zudem ein Ökobesteck, ein Mutmachimpuls, eine Serviette und zwei Flyer mit dem Hinweis auf das Gesprächsangebot einer Psychotherapeutin und die Möglichkeit, sich in einer fahrenden Arztpraxis in der Schlachthausstraße gegen Corona impfen zu lassen. Der Arzt werde dann sicher auch ein Auge auf den weiteren Gesundheitszustand der Betroffenen haben, so Schwemm.
1100 Essen sind vor einem Jahr bei der ersten Esslinger Vesperkirche to go über die Theke gegangen. Die Mitnehmaktion ist aber nicht das, was der ursprünglichen Idee der Vesperkirche entspricht – „nämlich einen Ort der Begegnung, der Nähe und der Nächstenliebe im Raum der Kirche zu schaffen“, wie Weißenborn einräumt. „Aber wir müssen bei den Menschen bleiben. Ich will das nicht überhöhen: Aber wir wollen ein Zeichen setzen.“
Schon vor Monaten habe man überlegt, wie man in diesem Jahr mit dem Thema Vesperkirche und Coronabedrohung umgehen könnte. Weißenborn: „Am liebsten wären wir wieder in die Frauenkirche.“ Aber „zu dynamisch“ war das Infektionsgeschehen, „zu fragil“ waren die Prognosen. Auch die Überlegungen, statt der aufwendigen Ummöblierung der Frauenkirche im Gemeindehaus am Blarerplatz aufzutischen, hätte einer „riesigen Logistik“ bedurft, ergänzt Schwemm.
Die Erfahrungen des vergangenen Jahres mit der Mitnehmvariante seien nicht schlecht gewesen, meint Weißenborn. Es kämen so eben vor allem die Menschen, die das Angebot auch bräuchten. Allerdings nur diejenigen, die vor Ort sind. Den anderen fehlten die Begegnungsmöglichkeit und die Chance, mehrere Stunden im Warmen zu sitzen, berichtet Schwemm. Aber auch den rund 600 Ehrenamtlichen, die sich in den Präsenzjahren für die Vesperkirche engagiert hatten, fehlen die Begegnungen und die identitätsstiftende Gemeinsamkeit.
Mit rund 40 000 Euro ist die To-go-Variante der Vesperkirche zwar um die Hälfte günstiger als die Begegnungsvariante in der Frauenkirche. Aber dafür gehen dann auch nahezu alle Essen für eine Spende von 1,50 Euro über die Theke, die die Verantwortlichen für neun Euro beziehen. Denn die Mehr-Zahler sind in der Mitnehmvariante nicht angesprochen. Spenden sind deshalb mehr als willkommen.
Die Vesperkirchen im Land sind unterschiedlich mit den Unbilden der Pandemie umgegangen. Die Kirchheimer hatten das Sozialprojekt 2021 in den Herbst verschoben und mit strengen Auflagen in der Thomaskirche über die Bühne gebracht. In diesem Jahr fällt die Vesperkirche dort zugunsten eines eintägigen Sommerhocks im Juli aus. In Nürtingen ist man nach einer reinen To-go-Aktion 2021 in diesem Jahr (30. Januar bis 20. Februar) mit einem eingeschränkten Platzangebot in der Lutherkirche, 2G plus und einem eigens aufgebauten Testzentrum angetreten. Das Essen konnte aber auch mitgenommen werden.
biz / Foto: Roberto Bulgrin