Ringer Frank Stäbler zählt als Weltmeister zum Favoritenkreis in Rio – Verletzungen und Erfolge in Vorbereitungsphase
Der amtierende Weltmeister gilt bei Olympischen Spielen in aller Regel als Top-Favorit. Das trifft auch auf die 66-Kilogramm-Klasse der Ringer im griechisch-römischen Stil zu. Frank Stäbler aus Musberg erkämpfte sich vergangenen September in Las Vegas den WM-Titel – und er spürt diesen auf dem Favoriten lastenden Druck. Doch den wischt er mit einer erfrischenden Leichtigkeit weg. „Mein Ziel ist es, zu 100 Prozent in Topform aufzulaufen und alles abzurufen – dann ist vieles möglich“, sagt der 27-Jährige mit dem für ihn so charakteristischen Lachen. Auch wenn die Vorbereitung unter dem Einfluss von Verletzungen und Krankheit stand, war Stäblers Traum von einer Olympiamedaille noch nie so realistisch wie in diesen Tagen. Rio sind seine zweiten Spiele und sie sollen die Krönung einer bereits jetzt ausgesprochen erfolgreichen Karriere sein.
Musberg ist für Stäbler Trainings- und Rückzugsort zugleich, im vertrauten Umfeld von Familie und Freunden schöpft er Kraft. Mit Trainer Andreas Stäbler – nicht verwandt und nicht verschwägert – arbeitet er seit zwölf Jahren zusammen. Zuletzt wurde diese Arbeit intensiviert. In den Wochen vor Rio ist Stäbler von seinem Arbeitgeber freigestellt worden, täglich sechs Stunden wurde in der nicht klimatisierten Musberger Ringerhalle geschuftet. Unruhe und Stress sind ihm gerade in der Vorbereitung auf große Turniere ein Gräuel. Daher hat er im Vorfeld zwei Konfliktherde zumindest abkühlen lassen. In der langjährigen Fehde zwischen der Ringerabteilung des TSV Musberg und dem Hauptverein mit dem Vorsitzenden Joachim Beckmann herrscht eine Art Burgfrieden. „Die Lage hat sich extrem gebessert“, sagt Stäbler. Und dann gab es den Fall Nendingen. Der ASV hat Ende Januar mit Stäbler zum dritten Mal in Folge die deutsche Mannschaftsmeisterschaft gewonnen. Doch wenige Tage später gerieten zwei osteuropäische Ringer im Nendinger Kader unter Dopingverdacht. „In Nendingen bin ich außen vor“, sagt Stäbler. Auch seinen Wechsel zum diesjährigen Finalgegner Germania Weingarten will er nicht als Reaktion auf die Dopingaffäre verstanden wissen, der Vereinswechsel habe schon zuvor festgestanden.
Bleiben noch die gesundheitlichen Rückschläge: Windpocken gefolgt von einem Magen-Darm-Virus, ein angebrochener kleiner Finger, Knochenhautentzündung, Muskelfaserriss an der Wade und Platzwunde am Kopf: All das vermag die Zuversicht des Musbergers nicht schmälern. „Lieber viele kleine als eine große Verletzung“, sagt Stäbler. Zumal er im Unterschied zu vor vier Jahren nach eigener Aussage freier im Kopf ist. Die Angst vor einer vermeintlich folgenreichen Verletzung im Training schiebt er beiseite, gibt bei den Übungen stets Vollgas.
Überhaupt: „Ich bin gelassener, erfahrener geworden“, sagt Stäbler. Das hänge auch mit den Erfolgen zusammen. Bei seinen ersten Olympischen Spielen in London sei er noch überwältigt worden von dem Trubel, am Ende sprang ein fünfter Platz heraus. Im selben Jahr wurde er Europameister, 2013 holte er Bronze bei der WM. Im vergangenen Jahr folgte dann der WM-Titel mit anschließendem großen Empfang in Musberg.
Zuletzt war der Weltmeister in einem zweiwöchigen Trainingslager in Stockholm, hat sich dort bereits mit einigen der besten Kämpfer aus anderen Nationen gemessen. Den Feinschliff gab es dann im bayerischen Burghausen. Am 11. August geht der Flieger nach Rio. „Jeden Tag wächst die Anspannung, aber die Vorfreude ist größer als die Aufregung“, sagt Stäbler. Etwa acht Kilogramm muss der Musberger bis zum 66-Kilo-Limit im Vorfeld runterkriegen, die letzten drei Kilogramm davon müssen in Rio purzeln. Das und auch die recht kurze Anreise trotz Zeitverschiebung haben schon zur WM in Las Vegas sehr gut funktioniert. Daher sagt der Ringer: „Never change a running system.“
Wettkampftag ist der 16. August, Beginn um 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit, das Finale steigt gegen 22/23 Uhr. Zuletzt hat sich Stäbler noch mit einem Sieg beim Grand Prix in Dortmund Selbstvertrauen geholt. Er sagt aber: „Gold zu planen, mit einer Medaille zu rechnen, ist fast unmöglich.“ Zumal in Rio verschiedene Weltmeister und beide Olympiasieger der vergangenen Jahre im 19-köpfigen Teilnehmerfeld mitmischen.
Begleitet wird Stäbler von einer großen Musberger Abordnung. Bis zu 25 Familienmitglieder und Freunde seien in Rio. Auch sehr wichtig: Heimtrainer Andreas Stäbler wird gemeinsam mit Bundestrainer Michael Carl an der olympischen Matte stehen.
Stäbler wird in einer Woche ins olympische Dorf ziehen, will bis zur Schlussfeier in Rio bleiben und dann mit den anderen deutschen Athleten zurückfliegen. Im Gepäck will er eine Medaille haben. Doch die lässt sich eben nicht planen, auch als Weltmeister nicht. ch / Foto: dpa