Ringer Frank Stäbler wird in Musberg drei Wochen nach dem WM-Triumph gefeiert – Eklat beim Stadtempfang
Der erfolgreiche Sohn ist zurückgekehrt, am Ortseingang grüßt er auf einem Plakat in Jubelpose, der Musikverein Musberg würzt den kurzen Gang vom alten Rathaus zur Sporthalle mit schmissigen Melodien, das halbe Dorf steht dabei mit Deutschlandfähnchen in den Händen Spalier: Frank Stäblers Empfang in der Heimat lässt sich mit triumphal beschreiben. Allerdings erhält die Stimmung kurzfristig einen Dämpfer: Beim Empfang der Stadt Leinfelden-Echterdingen tritt der Disput Stäblers mit Joachim Beckmann, dem Vorsitzenden des TSV Musberg, offen zutage. Doch drei Wochen nach dem Titelgewinn bei der Ringer-Weltmeisterschaft in Las Vegas will sich der 26-Jährige die Laune nicht lange verderben lassen. Bei der anschließenden Feier in der Sporthalle und beim Anblick der jubelnden, ihm wohlbekannten Gesichter, sagt er: „Dafür hat sich die ganze Schinderei gelohnt.“
In der Wüste von Nevada ist für Stäbler ein Traum aus Jugendtagen wahr geworden. Nicht nur, dass er darin den WM-Gürtel in Händen hielt. Er wurde dabei auch von Heimtrainer Andreas Stäbler – nicht verwandt oder verschwägert mit dem frischgebackenen Weltmeister – auf den Schultern durch die Halle getragen. „Das ging eins zu eins in Erfüllung“, jubelt Stäbler nun. Vor der Siegerzeremonie war es allerdings ein Kraftakt, nicht nur, weil die WM ein Jahr vor den Olympischen Spielen als besonders stark eingestuft wird. Am Morgen des Kampftags der Griechisch-Römisch-Klasse bis 66 Kilogramm habe er sich platt gefühlt, durch die ersten drei Kämpfe habe er sich quälen müssen. Auch weil ihm das radikale Abnehmen vor den Kämpfen mit zunehmendem Alter immer schwerer falle. Als er dann aber den US-Lokalmatadoren Bryce Lee Saddoris besiegt hatte und mit dem Erreichen des Halbfinals das Olympiaticket für Rio gebucht war, war der Knoten geplatzt. „Frank hat die kämpferischen Qualitäten, über sich hinauszuwachsen“, sagt Jannis Zamanduridis, Sportdirektor beim Deutschen Ringer-Bund (DRB). Nach den Siegen über die Weltmeister von 2014 und 2013, Davor Stefanek aus Serbien und im Finale über den Südkoreaner Hansu Ryu, hielt Stäbler den ersehnten WM-Gürtel in Händen. Zwar war er im Jahr 2012 Europameister, für den DRB war es aber der erste WM-Titel seit 21 Jahren. Damals war der Aalener Thomas Zander erfolgreich.
Und Zander ist bei den Feierlichkeiten in Musberg der Überraschungsgast. In der Sporthalle, in der Stäbler trainiert, sagt DRB-Präsident Manfred Werner, er sei mächtig stolz auf seinen Vorzeigekämpfer. Werner, Zander und etliche andere loben unisono das „System Stäbler“. Denn der Weltmeister will nicht weg aus der Heimat. Familie und Freunde auf den Fildern sind ihm wichtig, er will nicht als Bundeswehrsoldat eingestellt werden und in einem fernen Olympiastützpunkt trainieren.
Und so wird diese „Nestwärme“ auch vom Ringer-Bund gefördert. Hin und wieder schaut der Bundestrainer vorbei, immer wieder bekommt Stäbler passende, starke Trainingspartner zugeführt. „Für Frank ist diese Erdung in Musberg wichtig“, sagt Zamanduridis.
Doch der Disput mit Beckmann könnte dieses Nest gefährden. Stäbler wirft dem Vereinsvorsitzenden vor, ihm und seiner Familie „über viele Jahre viele Steine in den Weg“ gelegt zu haben. Deshalb schneidet der Ringer dem Vereinschef das Wort ab, als dieser beim Stadtempfang zu einem Loblied anheben will. Beckmann verlässt daraufhin konsterniert den Empfang im alten Musberger Rathaus. „Wenn sich der Konflikt leistungsminimierend auswirkt, muss ich mir das genauer anschauen“, kündigt Zamanduridis an.
Das hat seinen Grund: Denn Stäbler hat noch einen weiteren Traum: Nach EM- und WM-Titel will er eine olympische Medaille. Und zwar in Rio de Janeiro im kommenden Jahr. Darauf wird fast alles ausgerichtet. Nach der WM in Las Vegas war Stäbler noch drei Wochen mit der Familie die US-Westküste entlanggereist. Doch nun wird die Vorbereitung detailliert geplant. Der 26-Jährige wird bei seinem Arbeitgeber die 50-Prozent-Stelle bis Sommer 2016 auf 35 Prozent reduzieren. Um die Spannung in der entscheidenden Phase hochzuhalten, steigt er in der Bundesliga beim ASV Nendingen erst zur Rückrunde ein. Übrigens: Der letzte deutsche Olympiasieg datiert von 1992: Den landete Maik Bullmann in Barcelona.
Auch die Konstanz macht den Musberger in Rio zum Favoriten, schließlich landete er bei allen großen Turnieren seit 2011 immer unter den ersten fünf. Allerdings nimmt Stäbler den WM-Titel auch als Bürde wahr, will deshalb verstärkt mit seinem Mental-Trainer reden. Doch in Brasilien könnte auch wieder das System Stäbler greifen. Denn Freunde und Familie begleiten den Ringer seit neun Jahren auch zu den großen Turnieren, in Las Vegas zählte der Kreis 22 Köpfe. Und das soll auch in Rio so sein. „Das motiviert mich“, sagt der 26-Jährige. In dieser Hinsicht wird ihm auch der tägliche Wohnzimmerblick helfen. Denn dort hängt an der Wand unter einer Stäbler‘schen Ringerszene in Öl seit kurzem der Weltmeistergürtel. Ein Platz, den Stäbler seit drei Jahren frei gehalten hat. Vielleicht sollte er schon einmal einen weiteren Platz für die Olympiamedaille schaffen. ch / Foto: ch