Steigende Zinsen, unkalkulierbare Kosten: Banken registrieren große Verunsicherung bei ihren Kunden

Der Traum von den eigenen vier Wänden ist für viele Menschen erst einmal ausgeträumt. Deutlich gestiegene Zinsen für Hypotheken-Darlehen, die anhaltend hohe Inflationsrate und zu viele Unwägbarkeiten bei der Entwicklung der Kosten zwingen mehr und mehr Bauinteressenten, ihre Pläne bis auf Weiteres zu begraben. Selbst Bauwillige, die bereits ein Grundstück besitzen, warten zumindest erst einmal ab. Das bestätigen regionale Geldinstitute auf Anfrage.
Mit genauen Zahlen tut man sich schwer. Aber der Trend ist überall eindeutig. Es herrsche große Verunsicherung, berichtet Volker Schmelzle vom Vorstand der Volksbank Plochingen. Das lasse sich auch daran festmachen, dass die Zahl der Beratungsgespräche für eine anstehende Immobilienfinanzierung seit Juni um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen sei. Und beim Großteil der übrigen Interessenten stelle sich heraus, dass sich das von ihnen angepeilte Vorhaben bei den aktuellen Gegebenheiten und mit ihren finanziellen Mitteln nicht realisieren lässt. „Die Unsicherheit ist mit Händen zu greifen“, sagt Schmelzle. Und was die Vermarktung bereits bestehender Immobilien angeht, ziehe sich der Verkaufsprozess heute viel länger hin als noch zu Jahresbeginn.
Martin Turetschek, Sprecher der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, zeigt an einem Beispiel, wie sich der Kapitaldienst für Baufinanzierungen innerhalb nur eines Jahres verändert hat. „Wer vor einem Jahr für ein Baudarlehen in Höhe von 300 000 Euro bei einem Zinssatz von 1,25 Prozent monatlich rund 312 Euro Zinsen zahlte, müsste jetzt für dieselbe Kreditsumme bei einem Zinssatz von 3,8 Prozent eine Zinsbelastung von 950 Euro pro Monat einplanen.“
Für Heinz Fohrer, den Vorstandssprecher der Volksbank Mittlerer Neckar, resultiert die gegenwärtige Zurückhaltung bei den Immobiliengeschäften aus einer „wachsenden Unsicherheit bei der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung, die sich auf den eigenen Arbeitsplatz und damit das langfristige Einkommen auswirkt“. Hinzu komme in der Region Stuttgart ein überdurchschnittliches Preisniveau bei den Immobilien, sowohl beim Kauf als auch bei den Baukosten. Coronakrise, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, Rohstoff- und Energiekostenkrise, hohe Inflation und viele andere Probleme sorgten für eine „ungeheure Unsicherheit“.
Eine andere Beobachtung macht man bei der Volksbank Filder. „Teilweise haben Kunden die höheren Baukosten oder auch das höhere Zinsniveau noch gar nicht realisiert“, berichtet Banksprecherin Sabine Kristen. „Kalkulationen und Berechnungen der Kunden gehen noch von einem niedrigeren Zinsniveau aus.“ Die Schere, wer sich eine eigene Immobilie leisten kann und wer nicht, sei durch die aktuellen Entwicklungen weiter auseinander gegangen.
Dass die Nachfrage nach Finanzierungen zuletzt stärker zurückgegangen ist, habe sich durch die gestiegenen Verbraucherpreise noch verstärkt, sagt Kreissparkassen-Sprecher Turetschek. „In dieser Konstellation können sich viele Menschen derzeit eine Investition dieser Größe nicht oder nicht mehr leisten.“ Trotz der aktuellen Zurückhaltung sei das Eigenheim für viele Kunden nach wie vor das Lebensziel. Mehr denn je müsse man sich als privater Investor fragen, ob die finanzielle Verpflichtung auf Dauer realistisch tragbar sei, so Turetschek. Deshalb sein Rat: „Das Finanzierungskorsett für die eigenen vier Wände auf keinen Fall zu eng schnüren.“ Zinssicherungssysteme wie das Bausparen spielten bei der Finanzierung von Immobilien künftig wieder eine stärkere Rolle.
Mehr denn je ist in diesen Zeiten eine solide Finanzierung notwendig. Volker Schmelzle verweist auf eine alte, nach wie vor gültige Regel: Mit einem Viertel bis einem Drittel Eigenkapital an den Start gehen. Angesichts der aktuellen Unwägbarkeiten mit zum Teil völlig unkalkulierbaren Preisen empfehlen die Bankfachleute, auf jeden Fall einen Puffer einzukalkulieren.
hf / Foto: Ines Rudel