Die vier Obst- und Gartenbauvereine in Ostfildern wollen weg vom angestaubten Image – Eigener Schnaps ist ein Anfang

Wettbewerbe für den schönsten Blumenschmuck im Ort und Baumschneidekurse im Winter – das fällt einem normalerweise zur Arbeit der Obst- und Gartenbauvereine (OGV) ein. Doch das war gestern. In Ostfildern mit gleich vier eigenständigen Vereinen hat sich in den vergangenen Jahren ein grundsätzlicher Wandel vollzogen. „Weg vom angestaubten Image“, so lautet die Devise. „Wir sind heute ein äußerst motivierter, lebendiger Verein“, sagt Oliver Galle, der Vorsitzende des OGV Kemnat. „Unser Ziel ist, die Natur zum Erlebnis zu machen.“ Mit Erfolg, wie sich an den steigenden Mitgliederzahlen, gerade unter jungen Familien, ablesen lässt.
Der Jahreskalender ist voll mit Aktionen und Veranstaltungen. „Vor allem mit den Schulen und Kitas machen wir sehr viel“, erklärt Galle. Saft pressen, auf Wiesen die Welt der Insekten erkunden, einen Imker besuchen, Kartoffelernte, Betreuung des Schulgartens – den pädagogischen Auftrag nehme man im Verein sehr ernst. Aber auch junge Familien möchte man gezielt ansprechen. Mit den Kollegen aus den benachbarten Vereinen wolle man ein 8100 Quadratmeter großes Grundstück bei Ruit pachten, das Familien für gemeinsame Veranstaltungen nutzen können. Überhaupt peile man unter den Obst- und Gartenbauvereinen ein verstärktes Miteinander an. Der Oberbürgermeister Christof Bolay habe dafür seine Unterstützung zugesagt, so Galle.
Was aus einer solchen Kooperation erwachsen kann, zeigte sich Ende Juni beim „Gartentraum“ auf dem früheren Gartenschaugelände im Scharnhauser Park. Viele Besucherinnen und Besucher genossen bei traumhaftem Wetter das vom Amt für Kultur und Vereine der Stadt Ostfildern angestoßene neue Format: Begegnung, Markt und Austausch zu allen Themen des Gärtnerns. An mehr als 30 Ständen wurden Pflanzen, Dekoration, Obst und Gemüse angeboten. Eine tragende Rolle spielten dabei die heimischen Obst- und Gartenbauvereine. „Das war für uns alle eine tolle Sache“, findet Matthias Noske, der beim Verein in Kemnat aktiv mitmischt. Für den „Gartentraum“ konstruierte er ein Smoothie-Fahrrad. Mit einem Bike aus Schrottteilen konnte jeder Besucher einen Küchenmixer antreiben, der Obst und Gemüse für einen leckeren Trunk verarbeitete. Der Upcycling-Gag kam gut an, genauso wie die anderen Angebote der Vereine, zum Beispiel das beliebte Schlürferle, ein Gemisch aus Apfelsaft, Sekt und Most, das schon bei der Landesgartenschau 2002 ein Renner war.
Und natürlich der eigene Schnaps, der 2018 erstmals gebrannt wurde. Die gute Obsternte damals habe den Anstoß gegeben für eine Gemeinschaftsaktion der besonderen Art, berichtet Harald Eggert, der stellvertretende Vorsitzende des OGV Ruit, Parksiedlung und Scharnhauser Park. Bei einem Kennenlerntreffen der Vereinsvorstände habe man vereinbart, erstmals miteinander etwas auf die Beine zu stellen. Warum nicht einen Schnaps aus Ostfilderner Streuobst? Gesagt, getan. Mit 400 Liter Maische haben die Hobbybrenner vor vier Jahren angefangen. Das ergab etwa 40 Liter Hochprozentiges. 2019 waren es schon 1100 Liter Maische. Geld verdienen wollen die Vereine mit ihrem Schnaps-Projekt nicht. „Kommerz ist nicht unser Ziel“, sagt Oliver Galle. Viel mehr gehe es um Gemeinschaftsgefühl und das Bewusstsein, miteinander das Kulturgut Streuobst zu pflegen.
Das schätzen viele Menschen, nicht nur in Ostfildern. Wenn die Schnäpse etwa bei der Kirbe angeboten werden, sind sie schnell vergriffen. Zur Schnapsgruppe in Ruit zählt auch Kai Libich. Der Physiker war mit seiner Frau nach zehn Berufsjahren in München wieder zurückgekehrt in die alte Heimat, auch der Natur wegen. Bei der Suche nach einem Gütle stieß er auf Harald Eggert. Und der konnte Libich schnell für die Arbeit im Verein begeistern. Für solche Naturschätze müsse man die Menschen viel mehr sensibilisieren, sagt Matthias Noske. Genau das wollten die Obst- und Gartenbauvereine erreichen. Ihm tue es in der Seele weh, wenn Lebensmittel vergammeln. Was Obst angehe, biete die Natur hier einen reich gedeckten Tisch.
hf / Foto: Horst Rudel