Innovativ und familiär

In Nellingen eröffnet eine Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz  – Möglichst großes Maß an Selbstbestimmung

Ein  würdiges Leben für seine Frau, trotz ihrer Demenzerkrankung, wünscht sich Eberhard Bitzer. Der 85-Jährige, der seit 20 Jahren in Nellingen wohnt, hat seit geraumer Zeit realisiert, dass er seine Frau nicht mehr alleine betreuen kann. Auch weil er selbst pflegebedürftig geworden ist. Nun hat er für seine Frau ein passendes Objekt gefunden, und zwar in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft am Ort. Diese WG   mit dem Namen „Zusammen(H)alt“ bietet auf einer Etage und einer Gesamtfläche von rund 400 Quadratmetern ihren Bewohnern private Bereiche – die Zimmer sind 16 bis 20 Qua­dratmeter groß –, aber auch Gemeinschaftsräume wie die offene Küche,  den Essbereich und eine große Terrasse – sowie ein innovatives Konzept, in dem den Bewohnern ein möglichst großes Maß an Selbstbestimmung eingeräumt wird und eine gemeinsame Alltagsgestaltung im Vordergrund steht. Am 18. April ziehen bereits alle neun Bewohner im Alter von 68 bis 90 Jahren in der Esslinger Straße in Nellingen ein. Die meisten von ihnen kommen aus Nellingen und haben wie Eberhard Bitzers Frau auch Gedächtnis- und Orientierungsprobleme.

Rund 1,7 Millionen Euro zahlt die Erich und Liselotte Gradmann-Stiftung für die Räumlichkeiten der WG, weitere 200 000 Euro investiert sie in die Einrichtung, erläuterte Ostfilderns Ex-OB Herbert Rösch, der Geschäftsführer der Stiftung ist. Er möchte mit diesem Projekt bewusst innovative Wege gehen, „denn ambulante Wohngemeinschaften scheinen die Antwort auf die wachsende Nachfrage und den Mangel an Fachkräften in der Pflege zu sein“. Seine Vision sei es, dass es in Ostfildern irgendwann 15 solcher Wohngemeinschaften geben werde, verteilt auf die einzelnen Quartiere. Die „Demenz-WG“ in Nellingen ist die zweite dieser Art in Ostfildern, seit acht Jahren gibt es im Nachbarschaftshaus im Scharnhauser Park die Wohngemeinschaft „Lichtblick“.

In dem Gebäude der „Demenz-WG“ in Nellingen entstehen oben drüber Wohnungen, im Erdgeschoss soll ein Drogeriemarkt eröffnen.

Betreut wird die WG in Nellingen vom Pflegedienst Nikolaus-Cusanus-Haus, der die Bewohner mit Fachkräften und Alltagsbetreuern rund um die Uhr unterstützt. Diesen Pflegedienst hat die Angehörigengemeinschaft der Bewohner ausgewählt, denn die Angehörigen sollen sich in dieser innovativen und doch familiären Wohnform aktiv einbringen.

Altenhilfeplanerin Gabriele Beck hat die Projektleitung inne und erläutert: „Diese Wohnform soll die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Bewohner gewährleisten. Dabei gibt es zwei markante Unterschiede zu einem Pflegeheim: Die Angehörigen haben ein hohes, vertraglich festgelegtes Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht und können mitreden, was den Alltag der Bewohner angeht. Außerdem entscheiden sie, wer in die Wohngemeinschaft einziehen darf. Und sie wählen selbst den Pflegedienst, der die Bewohner versorgen soll.“

Birgit Schult vom Pflegedienst Nikolaus-Cusanus-Haus, beschreibt den WG-Alltag: „Vom Aufstehen bis zum Abend werden die Bewohner von Alltagsbetreuern betreut, auch nachts ist eine Betreuerin im Einsatz.“ Die Bewohner jedoch bestimmen ihren Tagesablauf –  alle Wege, wie etwa der Gang zum Zeitung  holen an den Briefkasten oder in die Küche zum Frühstück oder gemeinsamen Kochen, werden zusammen unternommen. Es gehe darum, bei den Bewohnern verschüttete Ressourcen freizulegen, sie regelrecht aufblühen zu lassen.  aro/ch / Foto: aro

Info: Der Verein „Zusammen (H)alt“ fördert und begleitet die Wohngemeinschaft ideell und finanziell und sucht Sponsoren und Spender. Auch Patenschaften für Bewohner, die keine Angehörigen haben, sind willkommen. Weitere Informationen haben der Vorsitzende Wolfgang Maier (Maier.W@gmx.de) oder Projektleiterin Gabriele Beck (g.beck@ostfildern.de).


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