Landesverdienstorden für Christian Stürmer – Gerechtigkeit für Conterganopfer erstritten
Seit Jahren schon kämpft Christian Stürmer aus Ostfildern für die Gleichberechtigung von Menschen mit einem Handicap. Als Contergan-Geschädigter hat er das Contergan-Netzwerk Deutschland aufgebaut und in zäher Arbeit eine gerechte Entschädigung für die noch lebenden Opfer des Skandals erstritten. Als Vorsitzender des Netzwerks „Chancen für alle – Menschen mit und ohne Behinderung“ der CDU Baden-Württemberg setzt er sich für den unterschiedslos gleichwertigen Umgang mit anderen ein – analog der UN-Menschenrechtskonvention. Für sein Engagement wurde er Anfang Mai mit dem Landesverdienstorden geehrt.
„Es war ein langer und anstrengender Kampf, aber er hat sich gelohnt“, sagt Christian Stürmer. Der 55 Jahre alte Jurist aus Ostfildern ist eines der geschätzt bis zu 10 000 Opfer des Arzneimittels Contergan, das seine Mutter während ihrer Schwangerschaft eingenommen hatte. Anders als viele Contergan-opfer war Stürmer nicht auf Assistenz angewiesen. Gemeinsam mit seiner Partnerin baute er einen Kaffeevertrieb auf, den er aber wegen der körperlichen Belastung aufgeben musste. Während seines Jurastudiums kam er mit etlichen weiteren Conterganopfern in Kontakt und begann, den Fall rechtshistorisch aufzuarbeiten.
Was er zusammenstellte, war erschreckend. Das verantwortliche Pharmaunternehmen Grünenthal hatte sich in einem gerichtlichen Vergleich verpflichtet, 100 Millionen Mark in eine Stiftung zur Entschädigung der Opfer einzuzahlen. „Damit haben die sich gleichzeitig von aller Verantwortung freigekauft und waren draußen“, sagt Stürmer. Die Entschädigungen in Form von Renten waren mit 121 bis maximal 545 Euro kaum nennenswert. „Wir wurden mit einem Butterbrot abgespeist und zu den Sozialämtern geschickt. Die Menschen waren schlicht allein gelassen. Wir haben 50 Jahre lang gelitten, ohne Unterstützung“, stellt Stürmer fest.
Im Jahr 2008 gründete Stürmer das Contergan-Netzwerk. Dank guter Kontakte auf landes- und bundespolitischer Ebene und mit zäher Überzeugungsarbeit gelang es ihm und seinen Mitstreitern schließlich, mit einer Gesetzesänderung gerechte Unterstützungszahlungen zu erlangen. „Damit hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Der Staat hat sich bei uns entschuldigt, nicht nur finanziell, sondern inhaltlich. Und gleichzeitig habe ich festgestellt, dass man auf politischer Ebene etwas für diejenigen bewirken kann, die es selbst nicht können“, sagt Christian Stürmer.
Das will er weiterhin tun. „Die UN-Menschenrechtskonvention macht keinen Unterschied zwischen Behinderten und Nichtbehinderten. Es geht darum, die Gleichwertigkeit aller anzuerkennen und als gesellschaftlichen Grundkonsens zu betrachten“, stellt Stürmer fest. „Inklusion geschieht nur im Alltag.“
Zur Demonstration, dass alle Menschen, behindert oder nicht, den gleichen Anspruch etwa auf angemessenes Wohnen haben, lassen er und seine Partnerin derzeit ihr Haus komplett barrierefrei umbauen. Der Umbau wird von einer Filmproduktionsfirma begleitet. „Das soll durchaus öffentlich werden und auch zeigen, dass sich ein Behinderter nicht mit ein bisschen Teilhabe oder abgesenkten Bordsteinen zufrieden geben soll. Das ist Selbstreduktion und darin zeigt sich die fehlende Gleichwertigkeit“, macht er klar. Der alte Spruch „behindert ist man nicht, man wird es“ gelte eben weithin immer noch. Barrierefreiheit in allen Bereichen, das Bewusstsein, dass alle Menschen die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben, müsse von Kindesbeinen an verankert werden. „Und dafür werde ich weiter streiten“, kündigt Christian Stürmer an. pst / Foto: bul