Arme Familien: Verzicht auf Weihnachtsgeschenke – Diakonie fordert Kindergeld statt Teilhabepaket
Vor Weihnachten sitzt das Geld bei vielen Menschen locker: Geschenke werden gekauft, Weihnachtsmärkte besucht und ein üppiges Essen wird geplant. Ganz anders bei Menschen mit geringem Einkommen, oder die von Hartz IV leben müssen. Vor allem Alleinerziehende stellen dann fest, dass das Geld auch für ein kleines Geschenk nicht reicht. Der Kreisdiakonieverband (KDV) im Landkreis Esslingen kritisiert die schlechte Verteilung von Hilfen und die mangelnde Beratung der Hilfebedürftigen.
Für Anita S. war es kein leichter Gang. Die Mutter von fünf Kindern, zwei davon leben bei ihr, sah sich vor etwa zwei Jahren gezwungen, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Damals hatte sie einen Unfall, der sie bis heute am Arbeiten hindert und die Familie in wirtschaftliche Not gestürzt hat.
Keine Geschenke
Die Ausbilderin in einer Hilfsorganisation hatte kurz zuvor ihre Scheidung zu verkraften – mit Regelungen, die alles andere als vorteilhaft für sie seien, wie sie sagt. Anita S., die in einer Kreisgemeinde wohnt, gehört zu dem Personenkreis, der arm ist und dessen Situation zu Weihnachten besonders deutlich zu Tage tritt. „Weihnachtsgeschenke gibt es bei uns nicht“, sagt sie. „Das können wir uns einfach nicht leisten.“
Sie ist kein Einzelfall. Mehr als 3700 Personen gelten im Landkreis Esslingen als arm. Diese Zahlen nennt KDV-Geschäftsführer Eberhard Haußmann. Und in diesen Zahlen sind Rentner mit geringen Bezügen, Geringverdiener und die Bezieher von Arbeitslosenhilfe noch nicht einmal erfasst.
Anne Burkhardt, die Sozial- und Lebensberaterin im KDV, kennt viele Fälle aus ihrer Beratungspraxis. Das Geld – ein Hartz-IV-Empfänger hat nach Abzug der Fixkosten 4,30 Euro am Tag zur Verfügung – reiche nur für das Allernötigste. „Hungern muss wohl niemand“, sagt Burkhardt, „aber es darf auch nichts Unvorhergesehenes passieren.“ Gehe die Waschmaschine kaputt, stürze das Familien in Krisen. Bisher hat die Diakonie rund 280 000 Euro als Notfallhilfen für solche und ähnliche Fälle ausgegeben.
Leichtigkeit im Leben fehlt
Burkhardt berichtet auch von dem Druck, der auf Familien laste, weil die geringen Geldmittel als Dauerthema stark belastend seien. „Es gibt einfach keinen unbeschwerten Alltag, die Leichtigkeit im Leben fehlt.“
Burkhardt kritisiert auch die fehlende Bildungsgerechtigkeit. Schulen verlangen von ihren Schülern ganz selbstverständlich die Anschaffung moderner Medien wie Tablets, PCs und Smartphones. Sie befürchtet, dass dadurch „eine ganze Generation abgehängt wird“.
Anita S. hat 100 bis 200 Euro jeden Monat für sich und die elf und 14 Jahre alten Kinder zur Verfügung. Ihre Kinder bekommen Taschengeld, damit sie den Umgang mit Geld lernen können. Anita S. gehört zu den Menschen, die kreativ mit der Situation umgehen. Einen Kindergeburtstag kann sie nicht eventgleich wie Menschen mit Geld ausrichten. Also geht sie mit ihren jungen Gästen zu Workshops und Mitmach-Aktionen: zum Keramikbemalen oder Brezelnbacken. Bei den Kindern komme das gut an.
Zu viel Bürokratie
In den Ämtern habe Anita S. oft unfreundliche und kurz angebundene Mitarbeiter erlebt und eine Bürokratie, die nur schwer zu durchdringen sei. „Vieles ist sehr demütigend, man muss sich ständig rechtfertigen, alles offenlegen“, so lautet ihr Urteil über die Ämter. Im nächsten Jahr wird das Thema Schullandheim im Haushalt von Anita S. auf dem Plan stehen, denn ein Aufenthalt ist für beide Kinder geplant. Anita S. muss Unterstützung beantragen. Das Teilhabe- und Bildungspaket könnte helfen, allein die Beantragung ist aufwendig. So muss erst das Anrecht auf Wohngeld festgestellt werden.
Bildungsungerechtigkeit
Auch Reinhard Eberst, der Leiter des Fachbereichs Sozial- und Lebensberatung im KDV, sieht das Teilhabe- und Bildungspaket kritisch. „Es stellt keine Bildungsgerechtigkeit her. Möchte eine Familie ihrem Kind Nachhilfe über das Teilhabepaket finanzieren, geht das nur, wenn die Versetzung gefährdet ist“, sagt Eberst. „Jeder Normalverdiener kann da schon vorher aktiv werden.“
Haußmann, Eberst und Burkhardt fordern eine personelle Aufstockung in den Jobcentern, damit kompetentere Beratungen möglich sind, einen Abbau von Bürokratie und schnellere direktere Hilfen. Und Gesetzesnovellierungen dürfen nicht nur die Mittelschicht erreichen. So sollte das Kindergeld, das derzeit Hartz IV-Empfänger nicht erhalten, ausgezahlt werden. „Dann brauchen wir das Teilhabepaket mit seiner aufwendigen Bürokratie nicht mehr.“ bob / Foto: dpa
Info: Der KDV bietet unabhängige Beratungen in seinen Bezirksstellen an: Filder: 07 11/9 97 98 20, Esslingen: 07 11/34 21 57-200, Kirchheim: 0 70 21/92 09 20, Nürtingen: 0 70 22/93 27 75.