Kooperationen mit Dreifachnutzen

Bildungspartnerschaften im Landkreis Esslingen haben sich etabliert – Firmen optimieren ihr Azubi-Marketing


Der Übergang von der Schule in den Beruf stellt nachhaltig Weichen – sowohl für die Schüler als auch für Unternehmen. Junge Menschen müssen sich in dieser Zeit für einen Beruf entscheiden, Firmen hingegen müssen in der gleichen Phase ihre künftigen Mitarbeiter akquirieren. Bildungspartnerschaften, die die  Industrie- und Handelskammer (IHK) Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen mit den Schulen im Landkreis pflegt, sollen Schüler und Betriebe zusammenbringen. Sollen  diese Kooperationen gelingen, müssen die Bedürfnisse aller Mitwirkenden berücksichtigt und immer wieder angepasst werden – so lautet das Fazit der Vertreter von IHK, Schule,  Wirtschaft und Politik, die sich kürzlich zur Bildungspartnerkonferenz in Leinfelden-Echterdingen getroffen haben.

240 Bildungspartnerschaften pflegt die IHK mittlerweile mit Schulen im Landkreis Esslingen. Ralf Litschke, der die Bildungspartnerschaften bei der IHK betreut, spricht von einem erfolgreichen Verlauf:  „Das Projekt besteht seit 2009 und wächst.“ Vor allem seit dem Jahr 2011 sei die Nachfrage stark gestiegen.

Lose Kooperationen zwischen Schulen und Betrieben sind nichts Neues. Eine Bildungspartnerschaft setzt jedoch auf verbindlichere Strukturen. „Es gibt von unserer Seite aus rund 25 mögliche Bausteine, die eine Bildungspartnerschaft mit einer Schule ausmachen“, erklärt Litschke. Fünf bis sechs aus diesem Pool müssten regelmäßig angewandt werden, damit alle Seiten ihre Zusammenarbeit unterzeichnen können. Laut Litschke sind das beispielsweise Betriebsbesichtigungen für Lehrer und Eltern sowie Praktika für die Schüler. Es sind die Vorträge von Ausbildern in den Schulen, die zählen, aber auch  Auszubildende, die als jugendliche Referenten und Ausbildungsbotschafter in die Schulen gehen, oder Lehrer, die berufsorientierte AGs  anleiten. Die IHK koordiniert die Partnerschaften, bietet Unterstützung und schafft Netzwerke. Mittlerweile hat jede weiterführende allgemeinbildende Schule im Landkreis mindestens eine Partnerschaft mit einem Unternehmen.

Eine Kooperation muss Qualität haben, wenn sie erfolgreich sein soll. „Das ist mit Betriebsbesichtigungen allein nicht zu erreichen“, weiß Michael Mühlegg, der Ausbildungsleiter beim Esslinger Maschinenbauer Index. Er hat für Index einen Katalog für Projekte in den Klassen 5 bis 9 entworfen, der wiederholt zum Einsatz kommen kann – ein echtes Azubi-Marketing. Bei Index setzt man auf die Lust am Spielerischen bei jungen Leuten. „Wir bewerben keine Berufe, sondern Projekte oder bestimmte Tätigkeiten“, erklärt Mühlegg. In solchen Projekten werden beispielsweise Armbänder aus Alublech mit eingestempelten Namen hergestellt oder Schlüsselanhänger gefräst und gelötet. Ältere Schüler können sich am CAD versuchen. Fast nebenbei werden so Zeichnungen angefertigt, Gleichungen aufgestellt und Daten errechnet. Organisiert werden diese Projekttage von Index-Azubis, die altersmäßig auf Augenhöhe mit den Schülern sind.

Je älter die Schüler sind, desto anspruchsvoller werden die Tätigkeiten. Praktika folgen. Und mancher Neuntklässler hat vor Ende des Schuljahrs seinen Ausbildungsvertrag in der Tasche. Mühlegg räumt auch mit dem Vorurteil auf, nur gute Realschüler hätten eine Chance auf eine Ausbildung. „Wir brauchen Leute, die möglichst schnell in die Produktion gehen“, sagt er. Da sei oft der Hauptschüler gefragt, der Industriemechaniker lernt. Auch die Noten seien nicht das alleinige Kriterium,  so Mühlegg. „Ein Schüler, der faul, aber zuverlässig ist“, passe oft ganz gut. Der Kontakt von Betrieb und Schule könne auch Vorurteile bei Schülern und Eltern ausräumen. „Schüler befürchten zum Beispiel häufig, dass Fertigungshallen im Winter eiskalt seien und erleben es dann ganz anders“, berichtet Mühl­egg. Mittlerweile spricht Index Kindergartenkinder an: „Die Begeisterung für Technik lässt sich nicht früh genug wecken.“

Von guten Erfahrungen spricht auch Dieter Gumbl von der Firma Herma. Seit der Kooperation mit der Fleinsbachschule in Filderstadt-Bernhausen machten mehr Absolventen der Schule eine Ausbildung bei Herma in Neuhausen. Betriebe profitieren von Auszubildenden mit Migrationshintergrund, wie Sülbiye Deger von der Firma Mader aus Leinfelden berichtet. Dort seien 80 Frauen und Männer beschäftigt, die aus elf Nationen stammen. Die Nürtinger Firma Albrecht Bühler Gartenbau wiederum wirbt für weibliche Azubis in vermeintlichen Männerberufen.

Ralf Litschke spricht von einem „Dreifachnutzen“ für die Beteiligten: „Betriebe verbessern ihr Azubi-Marketing, die schulische Berufsorientierung gewinnt an Qualität und für Schüler wird die Berufsfindung optimiert.“ Einen weiteren Vorteil sieht er für die lokale Wirtschaft. Über Partnerschaften können sich auch eher unbekannte Mittelständler präsentieren, die mit einem Nischenprodukt Weltmarktführer seien und Jugendlichen eine Perspektive bieten könnten. Dadurch lassen sich Irrwege vermeiden, von denen die IHK-Geschäftsführerin Hilde Cost berichtet: „57 Prozent eines Altersjahrgangs in Baden-Württemberg beginnen zur Zeit ein Studium. Viele von ihnen brechen es jedoch wieder ab.“           bob / Foto links: bob, Foto rechts: IHK


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