Lärmgutachten löst Wirbel aus

Gegner und Befürworter des geplanten neuen Abflugkorridors interpretieren Untersuchungen völlig unterschiedlich

Für heftige Diskussionen sorgt das in Teilen bereits bekannt gewordene Gutachten zur geplanten neuen Abflugroute für den Flughafen Stuttgart. Zwar wird die Expertise erst am 7. März in der Fluglärmkommission vorgestellt. Das Gutachten wurde aber bereits zuvor bekannt. „Das war so nicht besprochen“, ärgert sich Wolfschlugens Bürgermeister Matthias Ruckh. Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich kritisiert das Verfahren: An der Debatte hätten die Bürgerinnen und Bürger gleich intensiv beteiligt werden müssen.
15 000 Menschen hatten eine Petition gegen die neue „TEDGO“-Route unterschrieben, die für Flüge nach Mallorca genutzt werden soll. Für Frust bei den Gegnern sorgte vergangene Woche die Information des Verkehrsministeriums, dass Deizisau und Altbach in die Fluglärmkommission aufgenommen werden. Nürtingen, Wolfschlugen, Plochingen, Aichtal und Waldenbuch erfüllen die Kriterien dagegen nicht.
Für Deizisaus Bürgermeister Thomas Matrohs liegen die Fakten klar auf der Hand. Das Gutachten weise nach, dass die Zahl der entlasteten Bürger höher sei als die Zahl der neu belasteten. Spür- und messbare Verbesserungen werde es vor allem in den als hochbelastet eingestuften Kommunen Denkendorf, Deizisau und Altbach geben. Matrohs verweist auf den ökologischen Nutzen: Die deutlich kürzere Steigstrecke spare Kerosin und bringe pro Flug CO2-Einsparung von rund 200 Kilogramm.
Eine differenzierte Betrachtung hält Ostfilderns OB Christof Bolay für notwendig. Das von der von ihm geleiteten Fluglärmkommission Stuttgart und dem Landesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Gutachten untersuche die Veränderungen des Dauerschallpegels. Und da gebe es in der Tat nur „Verschiebungen im Promillebereich“. Was die Einzelschall-Ereignisse angehe, sei jedoch in einzelnen Bereichen mit spürbaren Entlastungen zu rechnen. Bolay bleibt bei seinem Vorschlag: den neuen Flugkorridor Richtung Süden bei ein bis zwei Flügen pro Stunde in einem einjährigen Probebetrieb zu testen. Anfang Mai wird die Fluglärmkommission seine Empfehlung an die beiden entscheidenden Behörden, die Deutsche Flugsicherung und das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, abgeben.
Die Gegner sehen sich mit den ersten Ergebnissen des Gutachtens bestätigt. Nürtingens OB Fridrich wundert, dass Bolay als Vorsitzender der Fluglärmkommission das Gutachten nun mit dem Satz „Im Kern handelt es sich um Verschiebungen im Promillebereich“ kommentiert. „Zum einen wurde uns mitgeteilt, dass das Gutachten bis zur Sitzung der Fluglärmkommission nicht öffentlich zu behandeln sei, zum anderen war die Lärmentlastung von ursprünglich 90 000 Menschen das zentrale Argument.“ Da im Wesentlichen Klima- und Lärmschutzgründe ausscheiden, blieben rein wirtschaftliche Erwägungen für die kürzere Route übrig.
„Wir brauchen mehr Informationen“, findet Neuhausens Bürgermeister Ingo Hacker. Er will die Sitzung am 7. März abwarten und beim Gutachter kritisch nachhaken. Scharfe Kritik kommt von Rolf Keck-Michaeli, dem Sprecher der Bürgerinitiative „Vereint gegen Fluglärm“, die Kritiker aus Nürtingen, Neuhausen, Denkendorf, Wolfschlugen und Aichtal vereint: „Das Gutachten deckt auf, dass die neue Flugroute keine signifikanten Entlastungen für bisherige Lärm-Betroffene bringt.“ Er fragt: Geht es etwa doch um eine Erweiterung der Flugkapazitäten am Flughafen durch die Hintertür?
„Das Fluglärmgutachten verharmlost die Folgen der geplanten Routenänderung“, urteilt die Schutzgemeinschaft Filder. Entscheidend für die Störwirkung sei der ständige Wechsel zwischen Ruhephasen und lauten Einzelschallereignissen, sagt deren stellvertretender Vorsitzender Frank Distel. Zu erwarten sei, dass die Mehrbelastung durch die neue Flugroute über bisher ruhigeren Gebieten stärker wahrgenommen werde. Gerade bei Ostwind erhöhe sich die Lärmbelastung besonders für Neuhausen spürbar. Die errechnete CO2-Einsparung werde, so Distels Befürchtung, durch den steileren Abflugwinkel und die viel engere Flugkurve wahrscheinlich wieder kompensiert.

eli/hf / Foto: Horst Rudel


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