Leere Kühlschränke bei den Tafeln

Immer mehr Menschen sind auf verbilligte Lebensmittel angewiesen – Spender und Ehrenamtliche werden gesucht


Lebensmittel gehören nicht in den Müll, sondern auf den Tisch. Tafelläden vermitteln Tag für Tag aussortierte Lebensmittel an Menschen mit kleinem Geldbeutel. Der Bedarf steigt seit Jahren, während die Lebensmittelspenden knapper werden. Manche Tafeln suchen zudem dringend nach Ehrenamtlichen.

Wer in einem Tafelladen einkaufen möchte, braucht einen Ausweis und muss belegen, dass das eigene Einkommen nicht mehr als 25 Prozent über dem Hartz-IV-Satz liegt. Die Zahl der Ausweisinhaber steigt – und das nicht allein wegen der Asylbewerber, die ins Land kommen. Eine große Gruppe sind die „Aufstocker“, also Menschen, die mit ihrer Arbeit so wenig verdienen, dass sie zusätzlich zu ihrem Lohn Sozialhilfe brauchen. Auch immer mehr Rentner seien auf verbilligtes Einkaufen angewiesen, berichtet Helga Rütten, die Leiterin der Caritas Neckar-Fils-Alb und damit zuständig für die „Carisatt“-Tafeln in Esslingen und Nürtingen einschließlich der Ausgabestellen in Wernau und Wendlingen. Aber auch junge Kunden bis zu einem Alter von etwa 30 Jahren seien stark vertreten, sagt Barbara Zaremba-Meyer, die Marktleiterin der Tafel in Esslingen.

Beim Esslinger Kreisdiakonieverband, der die Fildertafeln mit ihren Filialen in Nellingen, Bernhausen und Echterdingen trägt, ist die Situation ähnlich. Die Zahl der Haushalte, die einen Ausweis für die Tafel besitzen, hat sich dort von rund 900 im vergangenen Jahr auf aktuell mehr als 1250 erhöht.

Die Fildertafel in Bernhausen wurde vor 20 Jahren als deutschlandweit dritte Tafel eröffnet. 180 Kunden kommen dort durchschnittlich pro Tag – am Monatsende, wenn das Geld knapp wird, mehr als zu Beginn des Monats, sagt Ladenleiterin Tanja Herbrik. Wachsende Zahlen von Langzeitarbeitslosen, zunehmende Beschäftigung im Niedriglohnbereich, steigende Mieten, Altersarmut und vermehrt  Flüchtlinge nennen Herbrik und Eberhard Haußmann, der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands, als Ursachen für den gestiegenen Bedarf.

In den Tafelläden soll eine würdige Atmosphäre herrschen, die den Kunden das Einkaufen ohne Gedrängel und Konkurrenzdenken ermöglicht. Deshalb lassen die Mitarbeiter nicht zu viele Personen gleichzeitig ins Geschäft und achten darauf, dass niemand größere Mengen hamstert – besonders bei dem, was knapp ist. Täglich werden die regelmäßigen Spender – vor allem Discounter, Supermärkte und Bäckereien – mit Kühlfahrzeugen angefahren. Was dabei zusammenkommt, „ist jeden Tag eine Überraschung“, sagt Zaremba-Meyer. Während die Versorgung mit Obst, Gemüse und Backwaren zumindest bei Carisatt recht gut sei, so Helga Rütten, fehle es an länger Haltbarem und an allem, was aus dem Kühlregal kommt. Zukaufen dürfen die Tafeln nicht.

„Der Kühlschrank ist leer“, drückt es Marktleiterin Aniela Zajac von der Kirchheimer Tafel drastischer aus. Bei dieser vom Deutschen Roten Kreuz getragenen Einrichtung ist die Zahl der Spender in den vergangenen Jahren stark geschrumpft. Manche Geschäfte würden inzwischen ihren Warenbestand lieber reduzieren oder hätten Anweisung, nichts mehr abzugeben, sagt Zajac. Im Kirchheimer Raum mache sich da­rüber hinaus bemerkbar, dass traditionelle Lebensmittelfabriken nach einem Besitzerwechsel das Spenden eingestellt haben.

Die Tafeln nehmen auch Privatspenden an, gerne bei länger haltbaren „Trockenwaren“ wie Reis, Nudeln, Mehl oder Zucker. Allerdings müssen sie hygienisch unbedenklich sein und den Vorgaben des Lebensmittelrechts entsprechen. In der Regel heiße das: originalverpackt und mit aufgelisteten Inhaltsstoffen. „Wir werden genauso wie die anderen von der Lebensmittelüberwachung kontrolliert“, erklärt Helga Rütten.

Kostenlos werden die Waren nicht weitergegeben, sie kosten bei der Tafel im Durchschnitt bis zu einem Drittel des normalen Verkaufspreises. Die Mitarbeiter sind fast ausnahmslos ehrenamtlich tätig, die Fahrer ebenso wie die Helfer im Verkauf oder diejenigen, die hinter den Kulissen Frischware für den Verkauf aufbereiten. Bei Carisatt steht täglich rund ein Dutzend Freiwilliger im kühlen Hinterzimmer, sortiert verfaulte Mandarinen aus, entfernt gammelige Salatblätter und mehr. „Für die paar Stunden, die wir aufhaben, sind den ganzen Tag Helfer beschäftigt“, sagt Rütten. Gerade in Esslingen, wo die Tafel zum Jahresanfang ihre Struktur verändert hat, bestehe „ein richtig dicker Engpass“ an Ehrenamtlichen. Die Fildertafel sucht vor allem Fahrer, hier mache sich der Wegfall der Zivis besonders bemerkbar. Hin und wieder packt auch ein Langzeitarbeitsloser als sogenannter 1-Euro-Jobber mit an. Und es gibt eben die treuen ehrenamtlichen Helfer wie Rolf Beutel. „Hier habe ich mit vielen Menschen zu tun, das gefällt mir“, sagt der Rentner, der seit 15 Jahren in Bernhausen mithilft. Auch Linde Götz schätzt es dort, „vielen jungen Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu begegnen“. Mit ihren 90 Jahren kommt sie noch immer regelmäßig einmal pro Woche zum Helfen.

Wer sich hier engagiere, lerne Menschen aus allen Gesellschaftsschichten kennen und arbeite in einem guten Team, betont Rütten. Und unter den Bedürftigen, die selbst aktiv dabei sind, seien auch Flüchtlinge. Die helfen in der Tafel, bevor sie zum Sprachkurs gehen.   aia/red  /  Foto: aia


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