Leo lebt

Der  Wirt  der Nürtinger Gaststätte Neckarau war nach einer Corona-Infektion schon totgesagt – Jetzt ist er  zurück im Leben

Es gibt Geschichten, die müssen zwingend von ihrem Ende her erzählt werden. Von ihrem guten Ende her. Wie die Geschichte von Leonitas Kotaidis. Das gute Ende ist: Leo lebt.

Die  frohe Botschaft gehört auch deshalb an den Beginn dieses Textes, weil Leo, der über die Nürtinger Stadtgrenzen hinaus bekannte Wirt der Gaststätte Neckarau, von manchen nach seiner Corona-Infektion schon totgesagt worden war. „Als ich auf der Intensivstation lag, haben Leute  bei meinen Söhnen angerufen und  ihr Beileid ausgedrückt“, sagt er.   Jetzt ist er seit einigen Tagen aus der Rehabilitationsbehandlung  zurück und sagt von sich: „Das ist noch nicht der alte Leo, wie ihn die Leute kennen. Aber ich bin auf dem Weg,  ganz gesund zu werden.“

Der, den er den alten Leo nennt, hat   20 Jahren lang als Wirt in der Neckarau seinen Mann gestanden. Die Karte der Vereinsgaststätte der TG Nürtingen, des größten Sportvereins in der Stadt, wirbt mit griechischen und schwäbischen Spezialitäten. Bevor Leo das Regiment in der Neckarau übernommen hatte,  haben ein paar versprengte Sportler dort nach dem Training ihren Durst mit einer Apfelschorle und zwei Bier gelöscht. Jetzt läuft der Laden. Zwar hat Leo die Geschäftsführung des Restaurants  vor ein paar Jahren  an seinen ältesten Sohn Panajotis übergeben, aber die Stammgäste sagen: Die Neckarau ohne Leo ist wie ein Gyros ohne Tsatsiki.

 Beinahe wäre das Horrorszenario eingetreten. Der vor 57 Jahren in Bad Cannstatt geborene Wirt mit den griechischen Wurzeln, den alle nur mit dem Vornamen anreden, hat dem Tod ins Auge geschaut. Hohes Fieber, Krankenhaus, Atemnot, Erstickungsangst, Intensivstation, künstliches Koma, Beatmungsmaschine – das volle Corona-Programm.  „Es hat schlagartig begonnen, am Mittwoch, 23. September.  Den Tag weiß ich noch genau, aber nicht, wo und bei wem ich mich angesteckt haben könnte“, sagt er.  Am Freitag darauf  hat er das Ergebnis des Corona-Tests erfahren, die Gaststätte zugemacht und sich mit der Familie in die häusliche Quarantäne verabschiedet.

Obwohl das Fieber steigt   und die Mattigkeit nicht weichen will,  wehrt sich der  sonst vor Vitalität strotzende Mann  lange dagegen, ins Krankenhaus zu gehen. „Ich hatte Angst“, sagt er rückblickend. Marc Lippe, der Geschäftsführer der Nürtinger Malteser und Stammgast in der Neckarau,  hat ihm wohl das Leben gerettet. „Er hat, als es mir schlecht  ging,  zweimal am Tag angerufen und schließlich ein Machtwort gesprochen: Leo, es hilft nichts,  du musst ins Krankenhaus“, erinnert sich der Wirt.

  Die Erinnerung setzt aus

Schließlich beugt er sich dem Unvermeidlichen – ob jetzt auf Drängen des Malteser-Chefs oder, weil er, der sonst mit einem gesunden Appetit gesegnet war, zwei Tage lang keinen Bissen runtergebracht hat, macht im Nachhinein keinen Unterschied. Er wird auf der Covid-Station aufgenommen. Es geht ihm jeden Tag schlechter. Das Atmen fällt schwer, die Lunge droht zu versagen. Am Donnerstag, 8. Oktober, muss  er nachts um 1 Uhr auf die Intensivstation verlegt werden. „Das war der Tag, an dem meine Erinnerung ausgesetzt hat“, sagt er.  Zwei Wochen später, am 22. Oktober,  ist er wieder zurück im Leben. Es ist der zweite Geburtstag seines Enkels. Der Kleine heißt Leo, wie sein Opa. „Von da an ging es bergauf“, erinnert sich der große Leo.

Nach einem negativen Corona-Test wird er auf die normale Station verlegt. Ein Bild hat sich ihm da ins Gedächtnis eingebrannt: „Der Arzt und die Schwestern standen in der Tür und haben gejubelt, dass sie es geschafft haben, mich am Leben zu halten.“ Leo antwortet mit der Siegerfaust. Noch einmal wird er unter Vollnarkose operiert. Die Fäden an seinem Hals müssen entfernt werden. Ein paar Tage später wird er entlassen.

 Er hat 24 Kilogramm abgenommen und ist so schwach auf den Beinen, dass er beim Gehen gestützt werden muss. Kaum zuhause,  gibt er eine Anzeige in der Lokalzeitung, der Nürtinger Zeitung, auf: „Liebes Team der Medius-Klinik, ich weiß nicht, wie ich euch genug DANKE sagen kann. Ihr habt euch 30 Tage lang, Tag und Nacht, mit  Leib und Seele um mich gekümmert …“

Er macht das,  weil es ihm ein Bedürfnis ist, sich bei  seinen Lebensrettern zu bedanken –  aber auch, um aller Welt zu zeigen,  dass er noch lebt. Und er macht das,  „um allen, die immer noch nicht wahrhaben wollen, wie gefährlich Corona ist, die Augen zu öffnen“. Was er durchlitten habe, das wünsche er seinem allerschlimms­ten Feind nicht.

Obwohl die  Ärzte sagen, er werde nichts zurückbehalten, bekommt er die   Angst, das Gefühl des Ausgeliefertseins,  immer noch nicht aus seinem Kopf.  Und mit der Erinnerung kommen die Tränen.     Dann sagt er noch:  „Mein Bettnachbar  auf der Covid-Station im Krankenhaus ist genauso alt gewesen wie ich.  Er  hat es nicht überlebt.“  adt / Foto: hr


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