Archäologen legen am Hegelesberg 7000 Jahre alte Siedlung frei – „Diese Funde sind geradezu anrührend“
Seit geraumer Zeit ist bekannt, dass der Untergrund im Gebiet Hegelesberg am westlichen Stadtrand von Kirchheim einige Überraschungen birgt. Da dort ein Gewerbegebiet entstehen soll, gehen Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart der Sache seit vergangenem Juni auf den Grund. Bei ihren Grabungen haben sie die Spuren eines Dorfs aus der Jungsteinzeit aufgedeckt und festgestellt, dass die heutige Kirchheimer Gemarkung bereits vor etwa 7000 Jahren besiedelt war. Bei einer Begehung mit Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker haben die Forscher ihre Erkenntnisse vorgestellt.
Bereits seit einigen Jahren wird vermutet, dass sich im Boden am Hegelesberg Siedlungsspuren finden lassen. Nach der Entscheidung, dort ein Gewerbegebiet zu erschließen, untersuchten Archäologen das Gelände systematisch. Und sie wurden fündig. Auf einer Fläche von 25 000 Quadratmetern verbergen sich im Lößboden des Hegelesbergs die Reste einer Siedlung aus der Jungsteinzeit. Bei den Untersuchungen bedienten sich die Wissenschaftler moderner Technologie. So kam auch eine Drohne zum Einsatz, die mit einer Hochleistungskamera bestückt eine millimetergenaue Vermessung des Geländes ermöglicht.
Seit Juni wird das Gebiet in einer Flächengrabung erforscht und die ersten Ergebnisse gelten als wissenschaftliche Sensation. „Die Siedlung stammt etwa aus der zweiten Hälfte des sechsten Jahrtausends vor Christus und es handelt sich um die größte jungsteinzeitliche Siedlung, die je im Südwesten gefunden worden ist“, sagte der Grabungsleiter Jörg Bofinger.
Nach den Erkenntnissen der Archäologen stand das Dorf am Rand einer Rodungsinsel in einem dicht bewaldeten Gebiet. Die vermutlich etwa 100 Menschen lebten in bis zu 30 Meter langen Häusern, die in Wohn- und Arbeitsbereiche sowie Speicher aufgeteilt und zu Gehöften gruppiert waren. „Es war klar eine sesshafte Gruppe mit bäuerlicher Lebensweise, mit Tierhaltung und Ackerbau“, sagte Bofinger.
Acht solcher Langhäuser haben die Forscher bereits mit Hilfe der aufgespürten Pfostenlöcher lokalisiert. Anhand einiger Funde entschlüsselten die Archäologen auch, dass die Häuser aus Flechtwerk bestanden, das mit dem Lehm des Bodens direkt neben den Häusern verputzt wurde. „Aber weil solche Lehmgruben mitten im Dorf extrem unpraktisch sind, wurden sie wieder verfüllt, und zwar mit Siedlungsabfall jeglicher Art“, erläuterte Bofinger. Diese Abfallgruben erwiesen sich für die Archäologen als wahre Schatzkammern.
So wurde dort viel organisches Material hineingeworfen, das mit den Jahrtausenden verrottete. Dieser schwarze Humus grenzt sich deutlich vom umgebenden gelben Lößboden ab, die Siedlungsstruktur wird so am Grabungsprofil lesbar.
Als noch wichtiger jedoch erweist sich, dass die ersten Kirchheimer nicht nur ihre Küchenabfälle, sondern alles, was zerbrochen oder sonst unbrauchbar war, in die Gruben warfen. „Dort haben wir wichtige Funde geborgen, die uns vieles über die Menschen erzählen“, sagte Bofinger. So förderten die Archäologen eine ganze Reihe Scherben von Töpfen und Vorratsgefäßen aus Ton aus dem Boden, die den Besiedlungszeitraum auf dem Hegelesberg recht genau eingrenzen lassen. „Da die frühen Kulturen keine Schrift hinterlassen haben, müssen wir Archäologen uns mit der Keramik behelfen“, erzählte Bofinger. Demnach gehörten die Bewohner der Langhäuser der linearbandkeramischen Kultur an, die ihre Keramik auf sehr spezifische Art verzierte und während des sechsten Jahrtausends vor Christus in einem Zeitraum von etwa 600 Jahren ihre Spuren in einem Gebiet vom heutigen Ungarn bis in die Gegend von Paris hinterließ.
Die Archäologen förderten auch Stücke zutage, die zu einer Getreidemühle gehörten, sowie einen bearbeiteten Stein, der sich als Spezialwerkzeug zum Glätten von Pfeilschäften erwies. Wenig verwunderlich für eine jungsteinzeitliche Kultur sind die Klingen und Schaber aus Feuerstein. Die zeigen jedoch auch, dass die Menschen vom Hegelesberg nicht isoliert gelebt haben. „Die Feuersteine stammen von der Schwäbischen Alb. Wir dürfen also davon ausgehen, dass die Bewohner des Dorfs Handelsbeziehungen mit anderen Gemeinschaften hatten“, sagte Bofinger.
Die Grabung wird insgesamt etwa 500 000 Euro kosten, 356 000 Euro wird die Stadt Kirchheim übernehmen. „Diese Funde sind geradezu anrührend, zeigen sie doch auch, wo wir herkommen“, sagte Angelika Matt-Heidecker. Anfang 2015 soll dann mit den Erschließungsarbeiten für das Gewerbegebiet begonnen werden, die freigelegten Überreste sollen ins Archäologische Landesarchiv kommen. pst / Fotos: dpa