Liebesgaben für die Schützengräben

Feldpost gibt Zeugnis vom Soldatenleben im Ersten Weltkrieg und vom Leben daheim

In diesem Jahr blickt die Welt auf zwei denkwürdige Ereignisse zurück. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg. In einer Serie widmet sich das Wochenblatt ECHO diesem Thema. Ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Front und Heimat war die sogenannte Feldpost, die im Ersten Weltkrieg eine ungeheure Konjunktur hatte.

In Esslingen läuft die Veranstaltungsreihe „52 x Esslingen und der Erste Weltkrieg“. Das historisch-kulturelle Langzeitprojekt dauert  vier Jahre bis November 2018 und widmet sich in jedem Monat einem anderen Thema aus dem Ersten Weltkrieg. Feldpostbriefe sollen  im November im Fokus stehen.

Feldpostbriefe und -karten sowie Liebesgaben waren Mittel, die Kontakte zwischen dem Soldaten an der Front und den Lieben zu Hause zu halten, was der Wehrmoral des Soldaten zugute kommen sollte. „Es gab zwar die Feldpost schon in früheren Kriegen, aber das Ausmaß der Feldpostbriefe im Ersten Weltkrieg ist ungeheuerlich“, sagt Joachim Halbe­kann, der Leiter des Archivs in Esslingen, das eine große Menge an Feldpostbriefen und -karten beherbergt. „Es müssen Milliarden Briefe gewesen sein, die hin- und hergingen.“ Halbe­kann sieht die Brieflut  auch in der Postkartenkultur begründet, die von 1900 bis etwa 1930 dauerte und um die Kriegsjahre ihren Höhepunkt hatte.

In den Karten und Briefen wurde tatsächlich viel über Banales berichtet. Das alltägliche Leben war Thema: die Kinder, der Großvater,  das Vieh und das Wetter. Auch der Soldat sollte sich allgemein und unverbindlich halten, denn die Zensur  unterband Kritisches und Negatives. Für Halbekann sind es oft diese Allgemeinplätze, die nur erahnen lassen, welchem Grauen die Männer im Krieg ausgesetzt waren. Der Satz „Hier ist es schon schlimm, mir geht es gut, ich hoffe, bald zu Hause zu sein“ überlasse dem Leser, sich das Schlimme vorzustellen. Noch ein anderes „Grauen“ verdeutlichen die Briefe. „Für die Soldaten gab es Phasen schrecklicher Langeweile“, sagt Halbekann. „Nutzlos rumhängen, ein paar sinnlose Übungen zu machen und sich mit Läusen und Ratten abzuplagen, bis ein Inferno über einem hereinbricht, macht einen Menschen kaputt.“ Für Halbekann ist das „die andere Seite  des Horrors.“

Als am 1. August 1914 der Krieg begonnen hatte, fingen Vereine – allen voran das Rote Kreuz – unmittelbar an, Sammelaktionen für die Soldaten zu organisieren und Sammelstellen einzurichten.

Mädchen und Frauen strickten Socken und Pulswärmer. In den Zeitungen wurde immer wieder zum Einsammeln von Wollresten aufgerufen. Während es sich bei den sogenannten Liebesgaben für die Frontsoldaten anfangs meist um Strickwaren handelte, gingen in der Folge auch andere Dinge auf die Reise: Zigarren, Zigaretten, Tabak, Pfeifen, Tabaksbeutel, Feuerzeuge und andere Dinge des täglichen Gebrauchs. Schüler verpackten die Sachen.

Die Liebesgaben waren ein Markt. Der Einzelhandel hatte sich in kürzester Zeit auf den Krieg eingestellt. Dazu wurden die Produkte oftmals gleich mit einer entsprechenden Feldpostverpackung angeboten. Textilhändler verkauften Feldposthemden, schon fertig verpackt. Beim Tabakwarenhändler gab es die Zigaretten im Päckchen und in der Süßwarenhandlung waren Schokolade, Cognac-Pralinen und die Pfefferminzpastillen schon zusammengestellt und versandfertig verpackt.

Das Engagement der Kinder und Jugendlichen beim Stricken und Einpacken ließ aber im Laufe des Kriegs nach. Das hatte auch seinen Grund darin, dass es den Menschen zu Hause selbst an vielem fehlte. Auch das Militär hatte im Lauf der Kriegsjahre andere Sorgen, als Briefe und Päckchen zu transportieren. Ende 1917 forderte die Obere Heeresleitung sogar die Schulen auf, wegen mangelnder Transportkapazitäten auf den Versand von Weihnachtspaketen zu verzichten. Es sollten vielmehr Geldspenden zur Verfügung gestellt werden, mit denen das Militär preiswert einkaufen und die Güter den Soldaten pünktlich zu Weihnachten zustellen könne.

Mit der Feldpost, die es seit dem 18. Jahrhundert bis heute als militärische Einrichtung gibt, haben nachfolgende Generationen ein Zeitzeugnis in der Hand. Es sind Informationen und Stimmungen aus erster Hand.

Rudolf Stützel aus Oberesslingen hatte darüber hinaus noch ein weiteres Anliegen. Als 17-Jähriger in den Zweiten Weltkrieg gezogen, hat er vor neun Jahren seine gesammelten Briefe in einem Buch verarbeitet. Stützel war fünf Jahre im Krieg, war bei der Belagerung von Leningrad dabei und wurde achtmal verwundet. „Es sind Bücher eines einfachen Soldaten“ schreibt er in seinem Vorwort. „Briefe eines blutjungen Menschen mit den Worten, Gefühlen und Gedanken der Jugend.“ Stützel, der im vergangenen Jahr gestorben ist, ging es darum, die „Wahrheit zu schreiben“ – und um eine Mahnung an die Jugend. „Auf dass es nie wieder geschehe.“            bob/Foto:  dpa

 

Info: „Feldpost. Briefe und Auszeichnungen eines 17-Jährigen von 1940 bis 1945“, 2005 Timon Verlag, ISBN: 3 938335033.


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