„Man sieht relativ schnell Licht“

Schuldnerberatung des Kreises besteht seit 25 Jahren – Überschuldung kann jeden treffen – Verbraucherinsolvenz ermöglicht Neuanfang

Man sieht relativ schnell Licht

Schulden sind ein Teil des Lebens. Über Kredite werden Autos finanziert und Häuser gekauft. Verschuldet sind die meisten Menschen. Wenn Verschuldung aber in Überschuldung kippt, kommt eine Lawine ins Rollen. Und die Arbeit der zwölf Frauen und Männer der Schuldnerberatung im Landkreis Esslingen beginnt.

Vor 25 Jahren ist die Schuldnerberatung im Landkreis Esslingen eingerichtet worden. Die Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen aus dem Landratsamt, vom Kreisdiakonieverband und vom Deutschen Roten Kreuz sichern eine flächendeckende Beratung im Kreisgebiet. Die Zahl der laufenden Beratungen im Landkreis Esslingen ist gleichbleibend hoch, auch die Wartezeiten haben sich in den vergangenen Jahren nicht signifikant verändert. Im Jahr 2014 wurden insgesamt rund 1300 Beratungen durchgeführt.

„Wer sich an uns wendet, kommt meist ziemlich spät“, sagt Boris Behrens, einer der Schuldnerberater  beim Landratsamt, der seit 2003 Menschen in finanziellen Krisen berät. „Dann droht der Strom abgestellt zu werden, man ist mit der Miete im Rückstand, die Bank zahlt kein Geld mehr aus.“ Die Betroffenen steckten meist mitten drin im Chaos und hätten eine lange Leidenszeit hinter sich, sagt Behrens. Dann geht es darum, schnell Lösungen zu schaffen. In der Beratung steht immer die Sicherung der Existenz eines Menschen im Vordergrund. Behrens nennt die drei wichtigsten Schritte: „Zuerst aus der akuten Krise helfen, dann Ordnung schaffen in den Schulden und drittens Vereinbarungen zwischen Schuldner und Gläubigern treffen.“ Der Schuldnerberater prüft: Was hilft in der Situation? Welche Ressourcen hat der Ratsuchende, wie kann das Einkommen verbessert, die Ausgaben gesenkt werden? Welche Forderungen sind berechtigt, welche nicht? Was darf gepfändet werden, was nicht? Was muss vom Geld übrig bleiben? Bei Bedarf wird bei der Antragstellung für ein Insolvenzverfahren unterstützt. Behrens’ Erfahrung zeigt: „Man sieht relativ schnell Licht. Nach dem zweiten oder dritten Gespräch fühlten die Betroffenen wieder Zuversicht und Hoffnung.“

Das Abrutschen in die Überschuldung kann im Prinzip jeden treffen. Krankheiten, der Verlust des Arbeitsplatzes und andere einschneidende Geschehnisse im Leben können dazu führen, dass aus einem verschuldeten Haushalt ein überschuldeter wird. Behrens hat Normalverdiener beraten, deren Konsumverhalten aus dem Ruder gelaufen ist: einen ehemals Selbstständigen, der zwei Kinder zu unterhalten hatte, eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die psychisch krank war, ein Ehepaar, das Opfer eines Schrottimmobilien-Verkäufers wurde.

Selten sind die Gründe für eine Verschuldung nur in einem fahrlässigen Umgang mit Geld zu sehen. „Bei einem Hauskauf ist meist alles darauf ausgerichtet, dass alles so bleibt wie es ist“, erklärt Behrens. „Dann kommt aber eine Trennung und plötzlich müssen zwei Wohnungen bezahlt werden. Dann bricht das ganze Konstrukt schnell zusammen.“ Das kriegen wir schon irgendwie hin, heiße es dann oft. „Wer so etwas sagt, bei dem sollten eigentlich die Alarmglocken schrillen“, sagt Behrens. Jeder sollte ein Haushaltsbuch führen, rät er. Auch Wohlhabende. „Wer so etwas anfängt, hat automatisch mehr Geld.“

Im Lauf der vergangenen 25 Jahre hat auch der Gesetzgeber Menschen mit Schulden unterstützt. Dazu gehört die 1999 in Kraft getretene Regelung zur Verbraucherinsolvenz, die mehrfach reformiert wurde. Zuletzt mit den Änderungen, die die Möglichkeit der Laufzeitverkürzung für die Schuldner bis zur Restschuldbefreiung und die Möglichkeit zur gerichtlichen Vertretung durch die Schuldnerberatung einräumen. Weitere bedeutsame Veränderungen brachten Änderungen im Unterhalts- und im Zwangsvollstreckungsrecht, dabei vor allem die Einführung des Pfändungsschutzkontos. Mit der gesetzlichen Verankerung des Rechts auf ein Girokonto zum 18. Juni stehen weitere Veränderungen bevor.

Der Sozialarbeiter Stefan Freeman macht seit 25 Jahren Schuldnerberatung. Er hat festgestellt, dass man heute schneller in die Schuldenfalle tappt. Die Möglichkeiten, online zu bestellen und einzukaufen, machten das Geldausgeben leicht – auch Geld, das man nicht hat. „Früher hatten wir öfter mit wenigen Gläubigern und hohen Schulden zu tun, heute sind es oft niedrigere Schulden und viele Gläubiger“, zieht Freeman Bilanz. „Es ist heute leichter, den Überblick zu verlieren.“ Auch er begrüßt die neuen Verbrauchergesetze, die einem Menschen einen finanziellen Neuanfang ermöglichen, wenn er die Vereinbarungen mit den Gläubigern und die sogenannte Wohlverhaltensphase einhält. Zum Beispiel die Anhebung der Pfändungsfreigrenzen. Damit bleibt Menschen trotz Pfändung mehr als die Sozialhilfe zum Leben.

„Wir können wirklich helfen“, betont Freeman. „Wir lenken die Aufmerksamkeit der Gläubiger auf uns. Es entlastet sehr, wenn die Anrufe der Inkasso-Unternehmen abends und an den Wochenenden ausbleiben.“ Er warnt davor, die Folgen von Schulden auf psychischer Ebene zu unterschätzen. Er erinnert sich an eine Klientin, die ihm nach ein paar Beratungsterminen sagte: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich wieder besser fühlen könnte.“ Die Schuldnerberater sehen sich als „Ersthelfer“, so wie Sanitäter bei einem Unfall, sagt Behrens. Das bedeutet auch, dass sie nicht richten: „Wir suchen Lösungen.“

Die meisten Hilfesuchenden sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. Aber es trifft auch Jüngere. Um Personen bis 27 Jahre kümmert sich die Sozialwirtin Lena Stumpp. Ihre Fälle sind etwa Frauen, die jung geheiratet, für Anschaffungen des Ehepartners gebürgt haben und mit Schulden zurückgeblieben sind. Es komme auch vor, dass für einen Freund ein Vertrag übernommen wurde, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt. Auch dort hilft das Motto von Schuldnerberater Behrens: „Taschenrechner statt Gefühl“.                 bob / Foto: bob

 

Info: Schuldnerberatung: Diakonische Bezirksstelle Esslingen:  07 11/3 42 15 72 71, dienstags 15.30 bis 17 Uhr, freitags 10.30 bis 12 Uhr; Landratsamt Esslingen:   07 11/ 39 02 26 96, donnerstags 14 bis 16 Uhr; Diakonische Bezirksstelle Filder:  07 11/ 99 79 82-0, dienstags 15 bis 17 Uhr; Diakonische Bezirksstelle Kirchheim:  0 70 21/ 9 20 92-40, dienstags 14 bis 16 Uhr:  DRK-Kreisverband Nürtingen/Kirchheim:  0 70 22/ 70 07-38 oder -39, montags 15 bis 17 Uhr, freitags 9 bis 11 Uhr.


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