Esslingens Oberbürgermeister geht Ende September in den Ruhestand und bleibt sich auch im Abschied treu

Im Esslinger Rathaus geht eine Ära zu Ende. Nach mehr als 23 Jahren an der Spitze der Stadtverwaltung verabschiedet sich Jürgen Zieger Ende September in den Ruhestand. Dass der Oberbürgermeister ein Jahr vor Ende der Amtszeit seinen Hut nehmen will, kommt für die allermeisten überraschend. Denn der OB hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er die Geschicke der Stadt mit Leib und Seele lenkt, auch wenn ihm der Wind bisweilen scharf ins Gesicht weht.
„Nach erfüllenden Jahren als Oberbürgermeister dieser Stadt nehme ich mir die Freiheit, diesen Zeitpunkt selbst zu wählen. Es gibt viel zu viele Politiker, die den richtigen Zeitpunkt verpassen“, betont der 66-Jährige und versichert: „Zunächst aber werde ich mich noch bis zum 30. September meinen Aufgaben als Oberbürgermeister in vollem Umfang und mit aller Kraft widmen. Es wird mir eine Ehre sein.“ Ziegers Ankündigung bringt die verschiedenen politischen Lager der Stadt nun in Zugzwang, weil sie sich rasch Gedanken über die Nachfolge machen müssen.
Dass er stets im ersten Wahlgang als OB gewählt worden war, betont Zieger nicht ohne Stolz: „Ich darf mit Freude auf viele gute und prägende Jahre in meinem Amt zurückblicken.“ Dass er sich mit einer stattlichen Leistungsbilanz verabschiedet, dürfte seinen Entschluss erleichtert haben. „Mein Amtsverständnis war immer vom Anspruch geprägt, ‚der Stadt Bestes’ zu suchen“, erklärt Zieger. „Unterschiedliche Meinungen zu Themen und Projekten sind Teil einer liberalen Demokratie und auch Wesensmerkmal einer engagierten Bürgerschaft.“
Zieger bedankt sich bei seinen Dezernenten, beim Gemeinderat und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung: „Ich weiß, dass ich allen einiges abverlangt habe. Wenn es manchmal zu viel gewesen sein sollte, tut es mir leid. Aber ohne dieses Engagement bringt man einen Tanker wie Esslingen nicht in Fahrt. Und ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich auch mir immer sehr viel abverlangt habe.“ Wenn es in Debatten bisweilen hart zur Sache ging, liegt das für den OB in der Natur des politischen Geschäfts: „Nur mit einer gewissen Konsequenz und Härte bewegt man vieles. Vor allem dann, wenn man zum Wohl der Stadt unpopuläre Entscheidungen treffen muss. Wenn ich Menschen jedoch persönlich verletzt habe, möchte ich mich dafür entschuldigen.“ Umso mehr freue er sich, dass die Fraktionschefs mit großer Wertschätzung auf die Ankündigung seines Abschieds reagiert hätten.
Zieger nimmt für sich in Anspruch, dass er stets versucht habe, dem sozialen Aspekt das nötige Gewicht zu geben. Das mag auch in seiner Biografie angelegt sein: „Es war mir als Arbeiterkind aus dem Rheinland nicht in die Wiege gelegt, ein solches Mandat jemals zu erreichen und so lange ausüben zu dürfen.“
Die Entscheidung, ein Jahr vor Ende der Amtszeit zu gehen, folge keiner spontanen Idee: „Sie ist innerfamiliär mit meiner Frau Angela 2019 entschieden und coronabedingt auf 2021 verschoben worden. Es gibt dafür keine äußeren Anlässe, aber meine Frau und ich möchten noch ein anderes Leben ohne ausgefüllten Terminkalender und Sieben-Tage-Woche führen.“ Untätig wird er nicht sein: Zieger bleibt Regionalrat und behält Ehrenämter wie den Vorsitz der Weiler-Stiftung und der Stiftung Esslinger Kulturpreis. Auch beim Podium- und beim Jazzfestival will er sich engagieren. „Ein Schatten-OB will ich sicher nicht werden“, versichert er.
Angela Zieger betont, dass Esslingen zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden sei, verbunden mit vielen schönen Momenten und persönlichen Freundschaften. Die promovierte Kunsthistorikerin hat stets ein eigenständiges Profil gezeigt und Akzente abseits der Stadtpolitik gesetzt. Die Freude auf mehr Privatleben, als es einem OB möglich ist, ist Jürgen Zieger anzumerken. Auch deshalb ist er mit sich im Reinen: „Ich reiße mir ein Stück vom Herzen, aber ich weiß, dass es gut ist.“ adi / Foto: Roberto Bulgrin