Orkan erzwingt Verjüngung

25 Jahre nach Wiebke und Vivian sowie 15 Jahre nach Lothar hat sich der Wald von den Sturmschäden erholt


Vor 25 Jahren fegten Wiebke und Vivian auch über Württemberg, am zweiten Weihnachtsfeiertag 1999 entwickelte Lothar eine noch stärkere Zerstörungskraft. Menschen kamen bei beiden Stürmen ums Leben, Bäume wurden massenhaft entwurzelt und wie Streichhölzer abgeknickt. Mit Windgeschwindigkeiten bis zu 200 Kilometer pro Stunde verursachte der Orkan Lothar gewaltige Schäden. Das galt auch für den Wald im Landkreis Esslingen. 15 Jahre später ist davon nichts mehr zu sehen. Das zeigt ein Besuch mit dem Esslinger Stadtförster Ingo Hanak auf dem Schurwald im Gewann Saißleshau. Auch Richard Höhn, Leiter des Forstreviers Nürtingen, erzählt von gewaltigen Ausmaßen des Sturms, von Aufräumarbeiten und Wiederaufforstung.

Von Januar bis März 1990 zogen neun Orkantiefs über Mitteleuropa. Die heftigsten waren Vivian und Wiebke. Vivian fegte vom 25. bis 27. Februar übers Land, Wiebke vom 28. Februar auf den 1. März. Beide richteten verheerende Schäden an, vor allem in den Wäldern. In Deutschland fällten sie 60 Millionen Kubikmeter Holz. Das entsprach einem Einschlag von zwei Jahren. Europaweit 100 Tote werden den stürmischen Kräften zugeordnet. Am 26. Dezember 1999 sollte es aber noch schlimmer kommen. Bei Lothar und bei den Aufräumarbeiten starben in Europa 110 Menschen, davon 13 am Sturmtag in Baden-Württemberg. „Lothar hat einen anderen Charakter gehabt als die Stürme davor“, sagt Höhn, der 1999 schon Revierleiter war. Er kann sich noch genau an den Tag erinnern. Die Familie saß bei den Eltern in Denkendorf zusammen, als beim Nachbarn die Kaminverkleidung davonflog. Ums Heim im Tiefenbachtal standen die Obstbäume nicht mehr. Und alsbald waren die immensen Schäden im Wald zu erkennen. Und es galt zu handeln. In der Johannes-Sonn-Hütte waren Leute eingeschlossen. Denen wurde der Weg im Tiefenbachtal laut Höhn „freigesägt“. Später wurde klar: Am schlimmsten hatte der Orkan in der Linie Reudern-Käppele-Dettingen und am Höhenzug im Gewann Vorhalde gewütet. Auf Esslinger Gemarkung waren am stärksten der Saißleshau und der „Katzenbacher Hof“ auf den Fildern geschädigt. Hanak spricht für beide Gebiete von einem Viertel der Waldfläche, in der gesamten Gemarkung waren etwa zehn Prozent betroffen.

Am meisten traf es die Fichte. Sie bildet nur Tellerwurzeln aus. „Ist eine Fichte nach 30 oder 40 Jahren 20 Meter hoch, ist die Hebelwirkung für den Wind sehr gut“, sagt Hanak. Höhn ergänzt: „Die Fichte ist der Fallschirm für den Sturm.“ Während Wiebke und Vivian „rein nadelholzgeprägt“ gewesen seien, habe Lothar mit seinen gewaltigen Böen aber alle Baumarten angegriffen. So seien beim 180-jährigen Eichenbestand an der Johannes-Sonn-Hütte viele Kronen abgedreht worden, auch etliche alte Buchen lagen flach. Doch trotz ihrer Anfälligkeit wollen die Förster auf die Fichte nicht verzichten. „Die Fichte wächst sehr gut und bringt einen hohen Ertrag“, sagt Hanak. Die Eiche hingegen sei standsicher bei geringerem Ertrag. „Die Fichte ist ein Universalbaum, wir brauchen sie“, sagt Höhn. Und so wird im Nürtinger Forstrevier ein Fichtenanteil von knapp zehn Prozent angepeilt.

Ein bis zwei Jahre hat es in Esslingen gedauert, bis die umgehauenen Bäume geräumt waren. Im Nürtinger Revier waren die Aufräumarbeiten im Spätsommer 2000 abgeschlossen. Die Folgeschäden zogen sich länger hin. Viele nun nicht mehr geschützte Bäume wurden vom Wind nachträglich gefällt, außerdem schlug der Borkenkäfer großflächig zu. Der trockene Jahrhundertsommer 2003 machte es mit dem Käfer noch schlimmer. „Da kam alles zusammen“, sagt Hanak.

Direkt nach Lothar war ein Überblick über die Schäden nötig, dafür wurde der Wald mit dem Hubschrauber überflogen und Luftaufnahmen wurden gemacht – man wäre in den Wald nicht hineingekommen. Die Wege wurden nach Vorranggebieten freigesägt. Nach dem Freiräumen der Straßen und Wege wurden Prioritäten aufgestellt: Welches Holz verdirbt am schnellsten? Die Holzmengen waren gewaltig. „Das war auf einen Schlag der fünf- bis sechsfache Jahreseinschlag. Die vorher sehr guten Holzpreise haben sich mehr als halbiert“, macht Hanak klar. Ein Teil des Orkanholzes kam nach Bempflingen ins Nasslager, ein anderer Teil wurde nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien verkauft. Das Räumen war gefährlich, die kreuz und quer liegenden Stämme konnten wie Mikadostäbchen zusammenstürzen. Deshalb kamen Vollernter und Kettenbagger zum Einsatz.

Schon ab Herbst 2000 wurde im Esslinger Stadtwald aufgeforstet: die Hälfte Eiche, ein Viertel Linde, ein Viertel Buche und Hainbuche. Auf rund 100 Hektar Fläche wurden eine halbe Million Bäume gepflanzt, weitere 50 Hektar der Naturverjüngung überlassen. Ein Problem war das Rehwild, das sich von den Knospen ernährt. Um die Verbissschäden einzudämmen, wurden 20 000 Bäume mit einem Kunststoffmantel geschützt. Höhn sagt, Lothar habe im Wald die Chance auf eine „reichhaltige Verjüngung“ eröffnet. Und so wurde der so lichte Wald mit lichthungrigen Kiefern, Eichen und Lärchen, aber auch mit Buchen aufgefrischt.

15 Jahre nach Lothar sind die größten der neu gepflanzten Eichen schon rund 13 Meter hoch. Inzwischen wird auf den Esslinger Lotharflächen schon wieder das erste Holz geerntet, zum Heizen mit Hackschnitzeln. Höhn spricht von Jungbestandspflege. Hanak sieht das zum einen alles rein fachlich und wirtschaftlich. Doch hat er das Staunen über die schnelle Entwicklung des Waldes nicht verlernt: „Es ist faszinierend, diese Bäume zu sehen.“ ch/pd, Foto: Hartmut Scheuter


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