Der Start von S 21 bringt viele Änderungen für Bahnfahrer mit sich – Esslingen verliert Direktzug an den Bodensee

Die Woche beginnt gut für Bahnreisende aus dem Kreis Esslingen: Stets montags um 6.13 Uhr fährt in Plochingen der ICE 1561 mit Fahrziel München vom Gleis ab. Wer ihn verpasst und kein Freund von Umstiegen ist, hat allerdings Pech: Die nächste Gelegenheit, nonstop vom Neckarknie an die Isar zu gelangen, gibt es erst wieder exakt eine Woche später.
Der Fernverkehr fristet mittlerweile ein Schattendasein in Plochingen, obwohl der Bahnhof zur zweithöchsten Kategorie gehört und damit per bahneigener Definition eigentlich ein „wichtiger Umsteigepunkt zum Fernverkehr“ ist. Seine einstmalige Bedeutung für den überregionalen Verkehr habe der Halt aber eingebüßt, meint Matthias Lieb, der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Das liege vor allem daran, dass die Bahnsteighöhe an den Fernbahngleisen nie an heutige Anforderungen angepasst worden sei. Tatsächlich gibt es neben dem montäglichen ICE nach München nur noch zwei weitere, fast tägliche Intercity-Verbindungen: früh morgens über Köln nach Berlin, nachmittags ins Allgäu, nach Oberstdorf. Doch mit der Inbetriebnahme des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs, voraussichtlich zum Fahrplanwechsel im Dezember 2025, muss der Verkehrsknoten auch um diese wenigen verbliebenen Fernzüge bangen. Der Bahnverkehr rund um die Landeshauptstadt wird völlig neu organisiert.
Das Verkehrsministerium stellte bereits im vergangenen Oktober seine Pläne für den Regional- und Nahverkehr vor. Das Neckartal gehört zu den Profiteuren: Die Takte der Regionalzüge von Esslingen und Plochingen in Richtung Ulm, Tübingen und Stuttgart werden dichter. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Die für Fahrradfahrer und andere Ausflügler attraktive, weil umsteigefreie Verbindung an den Bodensee geht verloren. Die Züge sollen künftig vom Stuttgarter Hauptbahnhof über die neue Trasse nach Ulm und weiter nach Friedrichshafen geleitet werden.
Während der Nahverkehr vom Land bei den Verkehrsunternehmen bestellt wird, betreibt die Deutsche Bahn ihren Fernverkehr eigenwirtschaftlich. „Das Land kann deshalb leider keine Aussage zum zukünftigen Fernverkehr auf der Filstalbahn treffen“, so der Sprecher des Verkehrsministeriums in Stuttgart, Edgar Neumann. Auch die Bahn selbst lässt sich nicht in die Karten schauen: „Wir sind mit den Fahrplänen noch nicht so weit“, teilt eine Sprecherin des Konzerns mit.
VCD-Chef Lieb, der auch Vorsitzender des Fahrgastbeirats Baden-Württemberg ist, rechnet damit, dass der ganz überwiegende Anteil der Fernverkehrszüge künftig über die Filder – nach dessen Fertigstellung mit Halt am Flughafenbahnhof – und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm fährt. Ob einzelne Züge, etwa Intercitys, auf der alten Strecke verbleiben, hängt aus seiner Sicht vorrangig an betrieblichen Gegebenheiten und der Auslastung der Neubaustrecke. Drohen die langsameren Intercitys dort die schnelleren ICEs auszubremsen, sei es wohl denkbar, dass sie vereinzelt weiterhin über die Filstalbahn fahren. Ohnehin als Wackelkandidat gilt der Intercity „Loreley“, der seit 2009 Tübingen mit Berlin verbindet und Plochingen quasi als Halt am Wegesrand mitnimmt. Der Zug wurde seinerzeit verlängert, weil am Stuttgarter Hauptbahnhof infolge der Bauarbeiten für S 21 die Abstellkapazitäten erschöpft waren. Während der Coronapandemie war der Zug zeitweise aus dem Fahrplan gestrichen worden, mittlerweile fährt er wieder an einigen Verkehrstagen.
Lieb sieht für den Fernverkehr auf der Trasse aber unabhängig von den Plänen der Bahn Chancen. „Die Strecke hat Potenzial“, sagt der Verkehrsexperte. Er glaubt, dass private Anbieter wie Flixtrain die Strecke samt ihrer Zustiegsbahnhöfe für neue Angebote entdecken werden. Ein Hoffnungsschimmer sei in diesem Zusammenhang etwa der von den Österreichischen Bundesbahnen betriebene Nachtzug nach Venedig, Zagreb und Budapest über Wien – er hält bereits heute in Göppingen. Lieb rechnet damit, dass die lokbespannten Railjetzüge auch tagsüber auf der Filstalbahn verbleiben, weil sie für die Neubaustrecke mit ihren hohen technischen Anforderungen nicht prädestiniert seien.
Das ändert sich mit Stuttgart 21 für den Kreis Esslingen im Regionalverkehr
Karlsruhe und Ulm: Die Regionalexpresslinie (RE) 5 verbindet künftig Karlsruhe und Ulm, die Züge verkehren über die Filstalbahn mit Halten in Plochingen und Esslingen. Zwischen Stuttgart und Ulm verkehrt zusätzlich der Metropolexpress (MEX) 16. Hier müssen sich Fahrgäste an eine neue Streckenführung gewöhnen. Von Esslingen aus fährt der Zug zunächst zum Stuttgarter Hauptbahnhof, dann weiter nach Bad Cannstatt.
Aalen und Tübingen: Der MEX 13 verbindet künftig Aalen und Tübingen im Halbstundentakt. Vorgesehene Haltepunkte im Landkreis Esslingen sind Esslingen, Plochingen, Wendlingen, Oberboihingen und Nürtingen.
Bodensee: Die Direktverbindung von Esslingen/Plochingen über Ulm nach Friedrichshafen/Lindau soll entfallen. Die Züge werden über die Filder und die Neubaustrecke nach Ulm geführt (nicht mehr durchs Neckartal).
sto / Foto: Roberto Bulgrin