Polizei legt Kriminalitätszahlen für 2015 vor – Weniger Wohnungseinbrüche – Auswirkungen des Flüchtlingszustroms
Es ist eine Bilanz, bei der die Polizei Zufriedenheit erkennen lässt und zugleich Mahnungen formuliert. So weist die Kriminalitätsstatistik für 2015 im Landkreis Esslingen gegenüber dem Vorjahr etwa weniger Wohnungseinbrüche und eine gestiegene Aufklärungsquote auf. Doch hält der seit Jahren vorherrschende Trend, dass Polizeibeamte zunehmend Angriffen ausgesetzt sind, weiter an. In der Bilanz muss zudem der Flüchtlingszustrom berücksichtigt werden. Denn nimmt man die Gesamtzahl der Delikte, so ist diese gestiegen. Werden aber die Verfahren wegen illegaler Einreise beziehungsweise Verstößen im Rahmen von Asylverfahren herausgerechnet, ist die Zahl gesunken. Zugenommen haben hingegen Straftaten von Flüchtlingen – auch wenn die Einreiseverstöße nicht berücksichtigt werden – und das Agitieren von rechts. Hat Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) mit Blick auf Baden-Württemberg schon von einem der sichersten Bundesländer gesprochen, so lässt sich das trotzdem auf den Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Reutlingen übertragen. Die Kriminalitätsrate in den Landkreisen Tübingen, Reutlingen und Esslingen liegt sogar noch unter dem Landesdurchschnitt. „Es ist eine deutlich entspannte Sicherheitslage, man lebt in den drei Landkreisen sicher“, sagt Hans-Dieter Wagner, der Präsident des Reutlinger Präsidiums.
Entgegen dem Bundestrend hat im Kreis Esslingen die Zahl der Wohnungseinbrüche abgenommen – und zwar deutlich. Das mag auch mit der Wirkung einer 15-köpfigen Sondereinheit der Polizei in Filderstadt zu tun haben. Auch ist die Aufklärungsquote in diesem Bereich gestiegen. Doch die 8,1 Prozent aufgeklärter Einbrüche sind laut Reinhard Nething, dem Leiter der Esslinger Kriminalpolizei, „kein befriedigendes Ergebnis“. Und so ist derlei Eindringen in die Intimsphäre nicht nur für die Opfer ein Schock. „Das Thema ist für uns alle ziemlich belastend“, sagt Nething. Trotz zum Teil sehr aufwendiger Ermittlungen seien die Erfolge überschaubar geblieben. Deshalb ruft der Kripoleiter die Bevölkerung dazu auf: „Rufen Sie uns an, wählen Sie die 110, wenn Sie etwas Verdächtiges beobachten.“ Sollte sich der Verdacht nicht erhärten, sei das keinesfalls eine Blamage oder eine unnötige Belastung der Beamten und niemand müsste befürchten, dass ihm der Einsatz in Rechnung gestellt werde.
Der Zuzug von Flüchtlingen stellt die Polizei in mehrerer Hinsicht vor Herausforderungen. Doch Wagner stellt klar: Nicht die Flüchtlinge seien straffällig, unter ihnen seien welche, die straffällig werden. Und das waren zuletzt deutlich mehr, auch wenn man die Verstöße gegen das Aufenthalts- beziehungsweise Asylverfahrensgesetz herausrechnet. Allerdings kamen auch deutlich mehr Flüchtlinge im Landkreis Esslingen unter. Mehr als die Hälfte dieser Delikte waren (Laden-) Diebstähle, immer wieder wurde mit Rauschgift gehandelt. Etwa ein Fünftel waren Körperverletzungen, fast immer bei Auseinandersetzungen unter den Asylbewerbern und häufig unter Alkoholeinfluss. Sechs Flüchtlinge sind unter den Verdächtigen, denen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorgeworfen werden, darunter sei aber kein Vergewaltiger. Hingegen mussten die Beamten immer wieder Gerüchten über solche und ähnliche Verbrechen nachgehen. „Die konnten wir aber alle ausräumen“, sagt Polizeisprecher Björn Reusch.
Wagner wiederum konstatiert einen „dramatischen Anstieg politisch rechtsmotivierter Delikte“. Wobei es eine „sehr überschaubare Anzahl“ an Angriffen auf Flüchtlinge gab. In den 85 Gemeinden des Regierungspräsidiums Reutlingen gab es 28 Fälle von Hakenkreuzschmierereien oder Steinwürfen auf Flüchtlingsheime, allerdings wurde nirgendwo Feuer gelegt. Verantwortlich für den Anstieg waren vor allem Hetzparolen im Internet. Wagner: „Es macht einen Unterschied, ob ich eine rechte Parole am Stammtisch oder auf Facebook verbreite.“
Dass die positive Entwicklung bei den Fallzahlen offenbar nicht mit dem Sicherheitsgefühl der Bevölkerung korreliert, beschäftigt Wagner. Er führt das auch auf die vielen Wohnungseinbrüche der vergangenen Jahre und angesichts des enormen Flüchtlingszustroms auf eine „gefühlte Verunsicherung durch Fremde“ zurück. Deshalb will der Polizeipräsident wieder mehr Streifen fahren lassen: „Wir müssen das Gefühl erzeugen, dass die Polizei auch da ist, wenn nichts passiert ist.“ Und das, obwohl die Personalsituation gerade wegen der vielen Einsätze an Flüchtlingsunterkünften sehr angespannt ist. Daher sagt Wagner nicht zuletzt mit Blick auf die grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen: „Der Polizei tut jeder Zuwachs gut.“
Auch vor dem Hintergrund, dass die Gewalt gegen Polizisten und damit auch die krankheitsbedingten Ausfälle von Beamten nach Angriffen seit Jahren zunehmen. „Ich will mich damit nicht abfinden“, sagt Wagner, der deshalb eine „gesellschaftliche Ächtung“ bei solchen Fällen fordert. ch / Foto: dpa
Für den Landkreis Esslingen bilanziert die Polizei im Jahr 2015 insgesamt 23 893 Straftaten bei einer Einwohnerzahl von 516 779. Das waren gegenüber 2014 zwar 785 Delikte mehr. Rechnet man aber die Fälle illegaler Einreise oder Verstöße im Asylverfahren heraus, waren es 21 669 Straftaten – ein Rückgang um 374. Die Aufklärungsquote lag bei 59,8 Prozent (2014: 57,7). Tötungsdelikte gab es 20 (minus drei), alle wurden aufgeklärt. Wobei es bei über 60 Prozent der Fälle bei versuchtem Totschlag oder Mord blieb. Andere Gewaltdelikte nahmen zu: Raub und Erpressung gab es 106 Mal (91). Körperverletzungen wurden 2448 Mal (2260) gezählt, 500 Fälle davon waren schwere Körperverletzungen. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab es 177 (minus eins).
In Wohnungen eingebrochen wurde 567 Mal (minus 102), wobei es in etwa der Hälfte der Fälle beim Versuch blieb. Die Aufklärungsquote stieg in diesem Bereich von 6,1 auf immer noch bescheidene 8,1 Prozent. 341 Autos wurden aufgebrochen (2014: 314). In Büros, Gaststätten oder Geschäfte wurde 735 Mal eingebrochen (minus 100). Diebstähle gab es 4620 (2014: 4472), davon Laden- und Taschendiebstähle 1430 (1353). Sachbeschädigungen zählte die Polizei 2711 (minus 450), Fälle von Betrug, Fälschung und erschlichener Leistung 4135 (2014: 4146). 1124 Mal wurde gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen (minus fünf). 600 (2014: 409) Flüchtlinge wurden nach Straftaten wie Diebstahl (349/237) und Körperverletzung (155/69) überführt.
Bei Angriffen auf Polizisten wurden 78 Beamte verletzt (2014: 69), insgesamt nahmen Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte von 137 auf 143 zu. Bei den politisch motivierten Straftaten von links gab es einen deutlichen Rückgang von 113 auf 46, Rechtsextremisten schlugen 156 Mal zu (2014: 69).