Der Landkreis Esslingen bringt im Notquartier am Berufsschulzentrum Zell 105 Asylbewerber unter
Die Not ist groß. Mehr als 50 Millionen Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks weltweit auf der Flucht – so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Und auch die Not des Landkreises Esslingen scheint groß, einen Teil der nach Deutschland strömenden Hilfesuchenden unterzubringen. Nun wurde am Berufsschulzentrum in Esslingen-Zell eine kreiseigene Sporthalle in ein Notquartier für Flüchtlinge umgewandelt. Der Kreis Esslingen ist damit der erste Landkreis in Baden-Württemberg, der zu solch einem Schritt greift. „Das ist keine ideale Unterbringung“, räumt Thomas Eberhard, der Dezernent für Infrastruktur im Landratsamt, ein. Doch es fehle in dem hiesigen, hoch verdichteten Raum an Wohnungen. Gerade der soziale Wohnungsmarkt sei leer gefegt. Um die bis Jahresende erwarteten 1900 Flüchtlinge unterzubringen, fehlen noch weitere 300 Plätze – trotz der Bemühungen von Landkreis und Kommunen und des Heranziehens fünf weiterer Unterkünfte bis Ende 2014. Und so kann es sein, dass zwei weitere landkreiseigene Sporthallen in Nürtingen und Kirchheim noch umgebaut werden. Auf Basis der derzeitigen monatlichen Zuweisungsquote geht der Landkreis laut Sozialdezernentin Katharina Kiewel bis Ende kommenden Jahres von 3500 Flüchtlingen aus, die unterzubringen sind: „Das wäre eine Verzehnfachung der Kapazität innerhalb von nur fünf Jahren.“ Die unterzubringen sei „nahezu nicht realistisch“, sagt Eberhard.
In der Zeller Sporthalle werden 105 Flüchtlinge untergebracht – ausschließlich Männer. Die Verantwortlichen erhoffen sich dadurch weniger Konflikte. Aufgeteilt werden sie auf 15 Quadratmeter große, nach oben offene Drei-Bett-Kabinen, die mit beschichteten Spanplatten abgetrennt sind. Kühlschränke sind in den Zimmern, die vorhandenen sanitären Anlagen werden genutzt. In der ehemaligen Gymnastikhalle wurden zehn Kochstellen mit Herd, Arbeitsplatte und Spüle eingerichtet. Derzeit sind etwa die Hälfte der Plätze belegt, die Flüchtlinge kommen bislang vor allem aus Syrien, auch aus Gambia, Eritrea und Pakistan. Der große Teil der Männer sind Muslime. In diesen Tagen werden weitere Flüchtlinge erwartet.
Und in den kommenden Monaten werden weitere kommen. Deshalb ist sich Eberhard mit Landrat Heinz Eininger einig, dass die Möglichkeit geschaffen werden müsse, auch in Gewerbegebieten Asylbewerberunterkünfte zu realisieren. Das bedarf aber einer Baurechtsänderung. Dies hat Eininger kürzlich bei einem Besuch bei Integrationsministerin Bilkay Öney vorgebracht. Dort forderte er auch eine Personalaufstockung zur Beschleunigung der Asylverfahren, ein Ende der „ungebremsten“ Verteilung auf die Landkreise und die Einstufung Bosnien-Herzegovinas, Mazedoniens und Serbiens als sichere Herkunftsländer, damit Asylbewerber von dort abgeschoben werden können. Letzteres weisen die Grünen-Landtagsabgeordneten Andrea Lindlohr und Andreas Schwarz zurück: Dadurch kämen „nicht weniger Flüchtlinge bei uns an“. Erfreut wird Eininger zur Kenntnis nehmen, dass das Land in der Zollernalb-Kaserne bei Meßstetten eine Erst
aufnahmestelle für Asylbewerber einrichten will, die Kreise und Kommunen entlasten kann.
Auch bei den rund 12 600 Euro, die für die Betreuung eines Flüchtlings im Jahr zugewiesen werden, fordert Eberhard Korrekturen. Die Kostenpauschale berücksichtige die unterschiedlichen Unterbringungskosten, das Gefälle von Ballungszentrum zur ländlichen Region nicht ausreichend. Lindlohr und Schwarz wiederum verweisen darauf, dass die Pauschale um 60 Prozent höher sei als im Jahr 2004. Einig sind sich Landrat und die Grünen-Abgeordneten, dass Flüchtlinge schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen sollten.
Die Betreuung der Flüchtlinge wird in Zell von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) übernommen. Zwei hauptamtliche Sozialarbeiter werden sich um die Belange der Flüchtlinge in der Sporthalle kümmern. Eine mit Spenden gefütterte Kleiderkammer werde gebraucht, auch Fahrräder für die Männer seien wünschenswert, sagt Julie Hoffmann, die Leiterin des AWO-Sozialdienstes. „An dieser Halle lernen wir alle“, fügt sie hinzu. In mehreren Gemeinden haben sich zudem Asyl-Freundeskreise mit mehreren hundert Ehrenamtlichen gebildet. Deren Arbeit nennt Kiewel „sehr beachtlich“.
Mit der Zeller gibt es derzeit 35 Gemeinschaftsunterkünfte im Landkreis. Wie schwierig es ist, neue Standorte auszuweisen, zeigt sich in Wendlingen. Im Gewerbegebiet in Bodelshofen scheitert die Unterbringung von 50 Flüchtlingen bislang an vom Verwaltungsgerichtshof gemachten baurechtlichen Vorgaben. In Wendlingen wurde deshalb die Änderung des Bebauungsplans eingeleitet. Bei den 80, in modularer Containerbauweise geplanten Plätzen auf dem Wendlinger Park-and-ride-Platz wurden aus der Nachbarschaft Bedenken und Vorschläge geäußert. Die daraufhin veränderten Pläne harren der Genehmigung.
Trotz der Probleme: Dass Deutschland Flüchtlingen helfen muss, daran lassen die Verantwortlichen keinen Zweifel. „Finanzielle Aspekte treten erst mal zurück“, sagt Eberhard. Thomas Fischle, der als Leiter der Käthe-Kollwitz-Schule im Zeller Berufsschulzentrum etliche Sportstunden ausfallen lassen muss, sagt: „Wir sehen die Notsituation dieser Menschen.“ Ch/Foto: bul