Viele Fehlfahrten

Probleme durch neue Struktur im ärztlichen Notdienst des Landkreises – Bei der Übermittlung von Hilferufen hakt es

In seinem ersten Notdienst in der neuen Struktur saß Marc Meinikheim mit Stift und Papier da. Der Arzt notierte sich von Hand die Namen, Adressen und Anliegen der Notfallpatienten, die ihm von den Kollegen in Pforzheim durchgegeben wurden. Zuvor waren die Informationen direkt auf sein Navigationsgerät übertragen worden. Für den Vorsitzenden der Kreisärzteschaft Esslingen und seine Kollegen ist die Lage derzeit frustrierend. Denn bevor der ärztliche Bereitschaftsdienst seine Notrufe aus der Ferne übermittelt bekam, klappte alles deutlich besser.
Wer in Esslingen und Umgebung die Nummer des ärztlichen Notdienstes wählt, die 116 117, kommt seit Mitte vergangenen Jahres nicht mehr in der lokalen Notrufzentrale in Esslingen heraus. Stattdessen melden sich Servicemitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) am Telefon, die in Pforzheim oder anderen Städten im Südwesten sitzen. Marc Meinikheim kritisiert, dass es dem dortigen Personal an medizinischem Fachwissen fehle. Die Mitarbeiter könnten oftmals nicht einschätzen, wie ernst das Anliegen der Anrufer sei. Zum anderen hätten sie keine Ortskenntnisse.
Den Ärzten in der Region bereitet dies große Sorgen. Meinikheim sagt: „Wir von der Kreisärzteschaft sehen die Patientenversorgung gefährdet.“ Weil sich die Telefonisten im Kreis nicht auskennen, kämen enorm viele Fehlfahrten zustande. Das bekommt nicht nur der ärztlichen Bereitschaftsdienst zu spüren, sondern alle medizinischen Rettungskräfte.
Auch Marc Lippe, der Geschäftsführer der Malteser im Bezirk Neckar-Alb, steht vor diesem Problem. Wenn Anrufer unter der 116 117 auf die Schnelle niemanden erreichen, der ihnen hilft, wählen sie oft die 112. Dann kommen die Rettungsdienste ins Spiel. Für sie häufen sich in letzter Zeit die Notfälle, die eigentlich keine sind. Lippe beobachtet: „Die Schwelle der Leute, die 112 anzurufen, ist mittlerweile ganz niedrig.“ So komme es vor, dass wegen Halsschmerzen der Notruf gewählt wird. Weil die Notrufe nicht mehr in einer Zentrale zusammenlaufen, die Helfer also nicht mehr direkt miteinander vernetzt sind, zählen die Malteser zurzeit deutlich mehr Fehlfahrten als zuvor. Hinzu kommen die allgemeinen Personalengpässe im Rettungsdienst.
Eigentlich sollten die Aufgaben aber anders verteilt sein: Rettungswagen und Notärzte kümmern sich um die schweren Fälle, der ärztliche Bereitschaftsdienst um die weniger dringenden Einsätze. Vor der Umstellung im Sommer gingen alle Anrufe, egal ob unter der 116 117 oder 112, in der örtlichen Esslinger Leitstelle ein. Disponenten, die teils selbst als Notfallsanitäter im Kreis gearbeitet hatten, schätzten die Lage der Anrufer ein und verständigten den jeweils zuständigen Dienst. Oft gelang es ihnen sogar, den Menschen am Telefon zu helfen.
Nun kommt es aber teils zu Durcheinander. Und es gibt noch einen Grund, warum die neue Struktur ein gewaltiger Rückschritt sei, erklärt Meinikheim. Seit der Umstellung werden die Aufträge nicht mehr direkt auf das Navigationsgerät der Ärzte geschickt. „Wir bekommen die Informationen per SMS auf unser privates Handy“, sagt der Vorsitzende der Kreisärzteschaft. Fragwürdig in Zeiten des digitalen Wandels – auch aus Gründen des Datenschutzes.
Die KVBW, die die Nummer 116 117 landesweit in eine „eigene Struktur überführt“ hat, sehe keinen Missstand, erklärt deren Sprecher Kai Sonntag: „Selbstverständlich haben die Kolleginnen und Kollegen bei der 116 117 medizinische Fachkenntnisse, das ist schon rechtlich so vorgeschrieben.“ Ebenso gebe es keine Erkenntnisse darüber, dass fehlende Ortskenntnisse negative Auswirkungen gehabt hätten. Der Grund für die Auslagerung war, dass die 116 117 weitere Funktionen übernommen hat, sagt Sonntag. Zudem sei ein Verfahren zur Ersteinschätzung vorgeschrieben worden. „Beides könnten die Rettungsleitstellen auf Dauer nicht leisten.“ Es gebe keinen Plan, zur alten Struktur zurückzukehren. „Für uns ist es wichtig, das alte System zurückzubekommen“, sagt aber Meinikheim. Dieses sei in den vergangenen Jahren stetig besser geworden. Und so wie es jetzt laufe – „darunter leiden vor allem die Patienten.“

dcb / Foto: dpa


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