Notdienst-Apotheken im Kreis Esslingen kämpfen mit gravierenden Engpässen bei Medikamenten

Mit einem verzweifelten Hilferuf auf Facebook hatte sich die Apothekerin Sabine Mickeler vor dem Notdienst in der Löwen-Apotheke in Neuhausen am Ostermontag an ihre Kundschaft gewendet: „Wir bekommen keine Antibiotikasäfte. Großhändler und Firmen werden auf Knien angebettelt. Was sage ich nur den unzähligen Eltern mit ihren kleinen kranken Kindern?“ Wegschicken mussten die Apothekerin und ihr Sohn Tassilo, der in Kürze sein Pharmaziestudium abschließt, zwar nur vereinzelte Patienten. Doch selbst das darf aus ihrer Sicht einfach nicht sein.
„Eine Frau mit schwerem Reizhusten, die kaum sprechen konnte, mussten wir an den ärztlichen Notdienst zurückverweisen“, sagt Tassilo Mickeler. Sie brauchte ein neues Rezept. Dass der Patientin die Autofahrt schwerfiel, war dem angehenden Apotheker klar: „Doch da sind uns die Hände gebunden.“ In anderen Fällen haben die Apotheker mit dem ärztlichen Notdienst telefoniert und andere Lösungen gefunden. „Doch es dauert in der Regel, bis man da einen Arzt oder eine Ärztin erreicht“, schildert Tassilo Mickeler seine Erfahrungen. So lange müssten die Kranken im Freien ausharren oder wiederkommen, was gerade mit Fieber kaum zumutbar sei.
Rund 150 Menschen kamen während des 24-Stunden-Notdienstes am Ostermontag in die Löwen-Apotheke in Neuhausen. Selbst aus Ludwigsburg und Asperg kamen Kunden, weil die Apotheke auf den Fildern ein Medikament vorrätig hatte. Nebenbei nach alternativen Lösungen zu suchen oder Rezepte umzuschreiben, ist nach den Worten von Sabine Mickeler aufwendig. Dass Antibiotika fehlen, ist laut der promovierten Pharmazeutin eine Folge der Gesundheitspolitik, die sie scharf kritisiert. Wegen des niedrigen Preisniveaus sei die Produktion generischer Antibiotika in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich. So würden die Standorte in Niedriglohnländer verlagert, und es komme zu Lieferengpässen. Das Antibiotikum Roxi etwa erhalte die Löwen-Apotheke nicht mehr. Nicht nur Antibiotika wie auch Penicillin seien ein Problem. Das Diabetesmedikament Ozempic etwa sei seit Wochen knapp. Auch bei Medikamenten für Herz- oder Krebskranke gebe es Engpässe.
Um für den Osteransturm gewappnet zu sein, hatte sich Sabine Mickeler tagelang vorbereitet. Da checke man „fast stündlich“, was bei den Großhändlern vorrätig sei, und bestelle dann sofort. Die Apothekerin spricht diesbezüglich von einem „erheblichen Mehraufwand“, der sich im Tagesgeschäft kaum stemmen lasse. Weil die Gesundheitspolitik Apotheken immer mehr Belastungen auferlege, sei es schwer, Nachwuchs zu finden. Daher sei sie glücklich, dass ihr Sohn Tassilo an sein Studium der Wirtschaftswissenschaften die Pharmazie anschloss und die Löwen-Apotheke übernehmen wolle.
Die wachsende Belastung der selbstständigen Apotheken sieht auch ihr Esslinger Kollege Oskar Neumann von der Lerchen-Apotheke. Von den 150 Menschen, die beim 24-Stunden-Dienst an Ostern in die Apotheke in der Dresdener Straße kamen, habe er 20 wegschicken müssen, weil Medikamente fehlten. „Wir waren vorher mit dem ärztlichen Notdienst in Kontakt und haben kommuniziert, welche Medikamente nicht vorrätig sind.“ Er hatte 24 Stunden Nachtdienst. Dienstagfrüh stand er gleich wieder in seiner Apotheke.
Angesichts dieser Entwicklung sei es nicht verwunderlich, dass immer mehr Apotheken schlössen. Heftig kritisiert auch Neumann die Gesundheitspolitik des Bundes. Die auf zwei Jahre befristete Erhöhung des Abschlags an die Krankenkassen ab 1. Februar auf zwei Euro pro Medikament belaste gerade kleine Apotheken: „Zugleich wächst bei uns der Aufwand ständig.“
Vor den Osterfeiertagen hatte die Neuhausener Apothekerin Sabine Mickeler befürchtet, dass wegen der Medikamenten-Engpässe gerade Familien mit kleinen Kindern an die Krankenhäuser verwiesen werden müssten oder dass die Eltern dann gleich dort Hilfe suchten. Das hat sich bei den Medius-Kliniken im Kreis Esslingen nicht bestätigt, sagt Pressesprecher Jan Schnack: „Der Andrang war wie üblich an Feiertagen.“ Die Engpässe bei den Medikamenten seien bei den diensthabenden Ärzten kein Thema gewesen, sagt Schnack. Diese Eindrücke bestätigt auch Barbara Bensch, die beim Klinikum Esslingen für die Kommunikation zuständig ist, aus der Esslinger Notaufnahme.
Versorgungsprobleme: Die Landesapothekerkammer hatte bereits im Dezember 2022 vor dem „besorgniserregenden Versorgungsproblem“ gewarnt, insbesondere bei Kindern mit schweren Atemwegsinfekten. „Es stehen weder fiebersenkende Fertigarzneimittel noch bestimmte Antibiotika in ausreichender Menge zur Verfügung. Auch jetzt hat sich die Situation nicht entschärft.“
Hohe Belastung vor Ort: Der Aufwand ist der Landeskammer zufolge für die Apotheken in den Städten und Gemeinden kaum mehr zu bewältigen, „da im Schnitt bei jedem zweiten Rezept, das in den Apotheken vor Ort eingereicht wird, ein Problem mit der Lieferbarkeit zumindest bei einem der verschriebenen Medikamente besteht“. Als Grund nannte die Kammer die Erkrankungswelle, die Coronapandemie sowie den Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise. Die globalen Produktionsstätten und Lieferketten in der Pharmaindustrie würden durch diese Krisen erheblich beeinträchtigt.
eli / Foto: Horst Rudel