Bei den Fahrgästen kommt das Angebot gut an – VVS verzeichnet hohes Defizit – Landrat sieht den Bund in der Pflicht

Die Fahrgastzahlen im Gebiet des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) sind wieder fast auf Vor-Corona-Niveau. „Im ersten Halbjahr 2023 wurden rund 181 Millionen Fahrten mit Bussen und Bahnen unternommen, das sind 16,2 Prozent mehr als im Vorjahr“, berichtet Cornelia Christian. Für die neue VVS-Geschäftsführerin liegt der Grund für die Steigerung auf der Hand: Insbesondere das Deutschlandticket habe einigen Auftrieb verursacht.
Die Zahlen, die sie vor Kurzem in einem Gespräch mit dem Esslinger Landrat Heinz Eininger vorstellte, belegen aus ihrer Sicht, dass ein attraktiver Preis viele Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr motiviert. So habe sich die Zahl der Abonnenten im VVS-Verbundgebiet, das die Landeshauptstadt Stuttgart sowie die fünf Nachbarlandkreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg und Rems-Murr umfasst, von rund 195 000 im März 2020 auf fast 300 000 erhöht. Das zum 1. März in Baden-Württemberg eingeführte Jugendticket für Schüler, Azubis und Studenten, das nur 365 Euro im Jahr kostet, zähle schon 150 000 Abonnenten. Im Dezember soll der Geltungsbereich auf ganz Deutschland ausgeweitet werden – das ist erklärter politischer Wille.
Rund 70 Prozent aller Fahrten im VVS erfolgen laut Cornelia Christian mittlerweile mit dem Deutschland- oder dem Jugendticket. So gut und wichtig dieser Erfolg sei, er bereitet ihr und dem Landrat große Sorgen. Das 49-Euro-Ticket ist für den Verbund mit rund 40 Verkehrsunternehmen nämlich ein Verlustgeschäft – trotz höherer Fahrgastzahlen. Denn das Ticket ist in vielen Fällen deutlich preiswerter als die bisherigen Zeitkarten. Wochen- und Monatstickets werden laut Cornelia Christian kaum noch nachgefragt. Im VVS wurden ihren Angaben zufolge im ersten Halbjahr 2023 zwar Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 211 Millionen Euro erzielt, was 24 Millionen Euro mehr sind als im Vorjahreszeitraum. „Gegenüber 2019 ergibt sich aber immer noch eine Lücke von 48 Millionen Euro“, sagt die VVS-Chefin. Für dieses Jahr ist die Finanzierung des Deutschlandtickets gesichert, Bund und Länder stellen dafür drei Milliarden Euro zur Verfügung. Doch wer die zusätzlichen Kosten – und die sind angesichts der Preissteigerungen wahrscheinlich – im kommenden Jahr übernimmt, dahinter steht noch ein Fragezeichen. Heinz Eininger sieht vor allem den Bund in der Pflicht, der sich bislang in Sachen Finanzierungszusage ziert. „Wer bestellt, muss auch bezahlen“, sagt der Landrat in aller Deutlichkeit. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass wichtige Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung im Nahverkehr auf der Strecke bleiben.
Und da hat der Kreis Esslingen, der schon jetzt rund 58 Millionen Euro im Jahr nur für den laufenden Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs ausgibt, in den nächsten Jahren so einiges vor: Taktverdichtungen im Busfahrplan, neue Streckenangebote, den Ausbau von On-Demand-Verkehren sowie die schrittweise Einführung von emissionsfreien und sauberen Fahrzeugen auf allen Linienbündeln zählt der Landrat exemplarisch auf. Zudem werfe die S-Bahn-Verlängerung von Bernhausen nach Neuhausen schon lange vor der Inbetriebnahme 2027/2028 ihre Schatten voraus. An der neuen Endhaltestelle sollten dann ja auch Linienbusse halten, die die Fahrgäste ins Umland bringen, erläuterte Eininger. Dafür seien umfangreiche Planungen zur Anpassung des Busverkehrs erforderlich. „Sie beginnen Ende 2024.“
Eine große Herausforderung werde es sein, ausreichend Busfahrerinnen und -fahrer für das stetig wachsende Angebot zu gewinnen, nicht nur im Landkreis Esslingen, räumt die VVS-Geschäftsführerin ein. „Der Fachkräftemangel wirkt sich auch in diesem Bereich aus. Es wird zunehmend schwerer, geeignetes Personal zu finden, insbesondere in der Fläche.“ Der VVS wolle daher noch in diesem Jahr im gesamten Verbundgebiet eine Kampagne starten, um für den Beruf zu werben, kündigte Cornelia Christian an. Zusätzlich wolle man die Busunternehmen bei der Personalakquise unterstützen. Eine konkrete Zahl, wie viele Busfahrerinnen und -fahrer in der Region benötigt werden, kann sie derzeit nicht beziffern. Laut dem Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen fehlen heute schon landesweit etwa 2500 Busfahrer. Perspektivisch dürfte die Zahl noch deutlich steigen, heißt es von dort.
eh / Foto: Roberto Bulgrin