Auf den Balzholzer Feldern erleben Dinkel, Emmer, Dickkopfweizen und Co. eine Renaissance
Noch vor ein paar Jahren galten Dinkel und Co. als echte Exoten im Brotkorb. Doch inzwischen laufen Backwaren aus Mehl von alten Getreidesorten manchem banalen Weizenmischbrot den Rang ab. Das hat seinen Grund: Ur-Sorten wie Emmer oder Dickkopfweizen sind bekömmlicher als der hochgezüchtete moderne Weizen. Auch geschmacklich können die alten Sorten punkten.
Über die Halme auf der Balzholzer Höhe streift ein laues Lüftchen. Ideal für den Anbau von Getreide, denn so haben es Pilzsporen schwer. Landwirt Martin Schnerring weist auf die Fahrspuren, die sich im wogenden Grüngelb des Dickkopfweizenfeldes deutlich abzeichnen: „Wir ziehen hier ganz bewusst mehr Fahrspuren ein als üblich, um die Durchlüftung zu verbessern“, erklärt er. Seit dem Jahr 2008 baut der Landwirt in dem Beurener Ortsteil wieder alte Getreidesorten an. Professor Jan Sneyd stieß das Anbauprojekt damals an, das vom Bempflinger Backhaus Veit unterstützt wird.
Der Forscher, der auch an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen lehrte, beschäftigt sich schon mehr als sein halbes Leben mit Getreide und anderen Nutzpflanzen, hat zur Entwicklung moderner, ertragreicher und pilzresistenteren Sorten beigetragen. Seit einigen Jahren aber gilt sein Augenmerk den Ur-Getreidesorten. Nicht ohne Grund: Manche der alten Sorten stechen den Hightech-Weizen nämlich locker aus. Kritisch geht Sneyd mit den modernen Sorten ins Gericht. Zu schnell sei da gezüchtet worden. Etliche gute Eigenschaften sind dabei auf der Strecke geblieben. So weisen viele moderne Hochzuchtsorten beispielsweise Eiweiße auf, die weniger gut verdaulich sind als zum Beispiel von Dinkel oder Dickkopfweizen. Immer mehr Verbraucher greifen deshalb bewusst zu Backwaren aus Dinkelmehl oder anderen alten Getreidesorten.
Zwar bringen die alten Sorten in der Regel einen kleineren Ertrag, Dickkopfweizen punktet aber dafür mit einer hervorragenden Frosthärte. Deshalb wurde diese Sorte lange Zeit auf den Albhochflächen von den Bauern geschätzt. Auch weisen viele alte Sorten eine sehr hohe Qualität an Aminosäuren auf. Ebenso liefert der Dickkopfweizen, eine Kreuzung aus Dinkel und Weizen, mehr Gelbpigmente, ein wichtiges Antioxidans und Vitamin E. „Sogar mehr als Dinkel“, erklärt Sneyd.
Für die Weiterverarbeitung sind auch andere Faktoren von Bedeutung. So bringt Dickkopfweizen gute Klebereigenschaften mit, die in der Backstube eine wichtige Rolle bei der Teigzubereitung spielen. Geschmacklich bringen Dinkel und Co. eine etwas nussigere und intensivere Note in Brot oder Brötchen. Inzwischen hat Dinkel wegen seiner Vorzüge eine kleine Renaissance erlebt. 1983 wurde das Getreide gerade einmal auf 3000 bis 5000 Hektar angebaut. „Heute sind es rund 100 000 Hektar“, weiß der Wissenschaftler.
Martin Schnerring hat den Anbau von Rotkorn und Dickkopfweizen inzwischen ausgedehnt. Was auf einem kleinen Versuchsfeld begann, nimmt nun rund 1,5 Hektar seines Betriebs ein. Und auch im Backhaus Veit finden die Produkte mit Rotkorn, Dinkel und Co. immer mehr Abnehmer. Die Bäckerei ist inzwischen mit Produkten wie dem Richard-Rotkornbrot oder dem Dickkopf-Walnuss-Brot so erfolgreich, dass auch Mitbewerber nachgezogen haben.
Spielraum nach oben gibt es also noch für die alten Sorten. In seinem kleinen Zuchtgarten, den Sneyd ab und an Interessenten zeigt, sammelt und vermehrt der Forscher deshalb zahlreiche andere alte Sorten. Derzeit reckt hier beispielsweise Hirse ihre zarten Halme gen Himmel, auch Anbaumöglichkeiten von Nackthafer, alten Gerstensorten und Lein testet er im Balzholzer Feld. Was in der Backstube daraus entstehen kann, werden Experimente zeigen. mo / Foto: mo