Im Versuchsstall in Tachenhausen „arbeiten“ die Ferkel für ihr Futter – Einfache Maßnahmen zeigen große Wirkung
Zweimal im Jahr beziehen gut 80 Ferkel die Boxen im Versuchsstall des Instituts für Angewandte Agrarforschung der Hochschule Nürtingen-Geislingen. Ihr Schicksal ist wie das anderer Zuchtschweine, nach einigen Monaten geschlachtet zu werden. Aber sie sind auch Versuchsobjekt für eine artgerechte Haltung. Daran arbeitet die Forschungsgruppe „Tierwohl“ des Instituts auf dem Hofgut Tachenhausen bei Oberboihingen.
„Und, haben Sie ein Schwein husten gehört?“, fragt Agraringenieur Stefan Württele nach einer halben Stunde. Kein Schwein hat gehustet, und das ist bemerkenswert. In einem konventionellen Stall husten die Tiere wie Menschen sonntags in der Kirche, verursacht durch den hohen Ammoniakgehalt in der Luft. Er führt zu Lungenentzündungen und oft zu bleibenden Schäden.
Studien der Hochschule Nürtingen-Geislingen an geschlachteten Mastschweinen kamen zu dem Ergebnis, dass sich rund 70 Prozent der Tiere im Lauf ihres kurzen Lebens erhebliche Lungenschäden zugezogen hatten. Bei der Fleischbeschau werden diese Befunde übergangen, denn sie hat ausschließlich die Genießbarkeit für den Menschen im Blick. Die Lunge, die nicht gegessen wird, ist folglich nicht von Interesse. Den Agrarwissenschaftlern geht es dagegen ums Tierwohl. Fleisch zu essen ist in Ordnung, findet Veterinär und Professor Thomas Richter von der Hochschule. Aber wenigstens sollten die Tiere vorher artgerecht und gesund gelebt haben.
Die Lungengesundheit ist dabei ein Aspekt. Schon seit den 80er-Jahren versuchen die Wissenschaftler, den Ammoniakgehalt in Ställen zu reduzieren. Moderne Kuhställe werden deshalb offen gebaut, sodass Luft durchzieht. Das ist möglich, weil das Milchvieh sich bei knapp über null Grad am wohlsten fühlt.
Schweine dagegen brauchen mehr Wärme. Im Modellstall in Tachenhausen haben sie einen warmen Unterstand mit isoliertem Boden, einen Fress- und Spielbereich und schließlich eine kühle Zone mit einem Betonspaltenboden. Dorthin gehen die reinlichen Tiere, wenn sie urinieren oder Kot ausscheiden. Allerdings werden Kot und Harn gleich getrennt: Dank eines leichten Gefälles im Unterboden läuft Flüssiges direkt ab. Dieser kleine Kniff macht den großen Unterschied, denn Ammoniak bildet sich erst, wenn der Harnstoff durch Bakterien abgebaut wird – und diese kommen aus organischem Material wie dem Kot.
Einen Stall auf diese Weise zu bauen, sei „nicht teurer oder sogar billiger als konventioneller Stallbau“, meint Richter. „Es ist nur bisher noch keiner auf die Idee gekommen“. Im Modellstall steigen Bilderbuchschweinchen mit lebhaften Knopfaugen und Ringelschwänzchen am Gatter hoch, um neugierig die Besucher zu beäugen oder auch deren Tasche anzuknabbern. Die Schwänze werden in konventioneller Haltung kupiert, weil sich die Tiere gegenseitig hineinbeißen, wenn sie sich langweilen. Und das tun sie. Während Wildschweine täglich fünf bis neun Stunden nach Futter suchen und wühlen, hier ein paar Eicheln, da ein Mäusenest, bekommen Mastschweine ihre Nahrung ohne Gegenleistung serviert und haben den ganzen Tag lang nichts zu tun. Auch das vorschriftsgemäß aufgehängte Spielzeug ist letztlich nur ein Ersatz, der sie nicht wirklich befriedigt.
In Tachenhausen läuft das anders, die Schweine sollen sich ihr Fressen „erarbeiten“, wie es ihrer Natur entspricht. Deshalb fällt das Futter nicht in den Trog, sondern in durchlöcherte Plastikrohre. Nur wenn die Tiere mit ihren platten Rüsseln die Rohre in Drehung versetzen, rieselt Futter heraus. Studenten haben diese einfache, rein mechanische Vorrichtung entwickelt und verfeinert. Und die Schweine „haben keine zehn Minuten gebraucht, um zu lernen, wie es geht“, sagt Württele. Allem Anschein nach sind sie eifrig bei der Sache und alle Schwänzchen unversehrt.
Verschiedene Varianten der Futterautomaten werden jetzt erprobt. Vom Nebenraum aus kann das Verhalten der Tiere über Kameras und eine Reihe von Bildschirmen beobachtet werden. Während sich der Offenstall für Kühe – ebenfalls in Tachenhausen entwickelt – mittlerweile durchgesetzt hat, muss für die Schweine noch eine Lanze gebrochen werden. Hier baut Thomas Richter neben wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor allem auf seine Studenten: Viele von ihnen werden später landwirtschaftliche Berater und sind damit Multiplikatoren. aia / Foto: aia