Beim Freiwilligen Sozialen Jahr entdecken Schulabgänger neue Berufsfelder und sich selbst – Vor 50 Jahren gestartet
Das Freiwillige Soziale Jahr, kurz „FSJ“, feiert sein 50-jähriges Jubiläum: 1964 wurden im „Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres“ erstmals bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen für den Jugendfreiwilligendienst festgeschrieben. Die Möglichkeiten und Einsatzbereiche des FSJ sind seitdem immens gewachsen, die Zahl der Freiwilligen auch.
Im Klinikum Esslingen beginnen alle Jahre wieder im September 30 bis 40 junge Menschen ein FSJ und bringen damit frischen Wind auf die Stationen. „Die haben auch noch manche andere Sichtweise, das bereichert schon den Ablauf“, sagt Pressesprecherin Anja Dietze. Natürlich sei es mit einigem Aufwand verbunden, die Freiwilligen, die überwiegend in der Pflege tätig sind, in ihre Aufgabe einzuführen und zu begleiten. Aber die Erfahrung zeige, „dass das immer ganz engagierte und sehr wissbegierige junge Leute sind“. Wenn sie sich nach ihrem FSJ für eine Ausbildung bewerben, was immer wieder vorkommt, seien sie den Pflegeschulen „hochwillkommen“, sagt Dietze.
Yannic Krieger kam über das FSJ zu einem Ausbildungsberuf, den er vorher gar nicht kannte. In der Schule sei er eher mathematisch orientiert gewesen, sagt der 17-Jährige, der sich schon vor der mittleren Reife für eine Ausbildung als Bank- oder Industriekaufmann beworben hatte. Als er keine Lehrstelle bekam, suchte er zur Überbrückung eine FSJ-Stelle und landete beim Esslinger Klinikum. „Ich wusste überhaupt nicht, was auf mich zukommt“, gesteht er. Aber dann fand er seine Tätigkeit ungemein spannend: Er arbeitete in der Schleuse zum OP-Bereich und half beim Vorbereiten der Patienten und des Materials mit. „Das war schon faszinierend, das alles zu erleben, wie das abläuft“, sagt Yannic, der nach Ablauf des FSJ im Oktober eine Ausbildung in Tübingen begonnen hat. Er lernt nun „Anästhesietechnischer Assistent“ und freut sich nach den ersten Wochen Blockunterricht schon sehr darauf, demnächst wieder OP-Luft zu schnuppern.
Freiwilligendienste sind natürlich schon älter als 50 Jahre und wurzeln vor allem im kirchlichen Bereich. Beim FSJ, das von unterschiedlichsten Trägern angeboten wird, sind aber die Rahmenbedingungen genau geregelt, mit dem Ziel, dass die jungen Leute nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. So erhalten die Freiwilligen Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung beziehungsweise Ersatzleistungen dafür. Kindergeld wird weitergezahlt, der Träger übernimmt die Sozialversicherung. Wichtiger Baustein sind insgesamt 25 Seminartage, bei denen der Blick über den Tellerrand des eigenen Einsatzgebietes hinausgeht.
Auch der 2011 als Ersatz für den Zivildienst eingeführte Bundesfreiwilligendienst hat entgegen aller Befürchtungen die Zahl der FSJler nicht reduziert; ebenso brach ihre Zahl nach dem doppelten Abiturjahrgang 2012 nicht ein. In Baden-Württemberg haben im September 11 000 junge Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren ihr Freiwilliges Soziales Jahr begonnen. Das seien, so Gisela Gölz, die Sprecherin des Landesarbeitskreises, annähernd doppelt so viele wie 2006. Sie sieht das FSJ als echtes Erfolgsmodell, was sie auch auf die vielfältigen Einsatzbereiche zurückführt.
Unter anderem werden FSJler in Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kliniken, Pflege- und Behindertenwohnheimen gebraucht, darüber hinaus gibt es Stellen in Sportvereinen, im Naturschutz oder auch im kulturellen Bereich. Allein in Esslingen sind knapp 20 junge Leute in kulturellen Einrichtungen von der Württembergischen Landesbühne bis zum Jugendhaus im Einsatz. Auch für eher handwerkliche Tätigkeiten oder in der Verwaltung ist ein FSJ möglich. Die Nürtinger Samariterstiftung bietet in diesem Jahr erstmals ein FSJ in ihrer Kommunikationsabteilung an. Joshua Aldinger, der dieses Jahr Abitur gemacht hat, betreut hier unter anderem die Jugendhomepage. Er hat sich gezielt für diese Stelle beworben und will Erfahrung sammeln für den Fall, dass er „später in Richtung Öffentlichkeitsarbeit oder Event-Management“ geht.
Sonderformen sind die zweijährige Variante FSJ plus, bei der Hauptschulabsolventen die mittlere Reife erwerben können, oder das FSJ im Ausland, das einige Träger vermitteln. Umgekehrt können ausländische Freiwillige in Deutschland arbeiten. Im Dr. Vöhringer-Heim der Samariterstiftung, einem Pflegeheim in Nürtingen, kommen aktuell drei von fünf FSJlern aus dem Ausland. Oksana Romanchuk aus der Ukraine ist eine von ihnen. Die junge Frau, die dieses Jahr ihr Studium in den Fächern Deutsch, Englisch und Weltliteratur beendet hat, hatte bereits vor zwei Jahren einen Ferienjob bei der Diakonie. Jetzt möchte sie „Deutschland besser kennenlernen, die Sitten und Bräuche“, sagt sie, „und besser Deutsch lernen“. Sie könnte sich sehr gut vorstellen, hier eine Ausbildung im Altenpflegebereich zu machen. Sie möge die Arbeit mit den Senioren und unterhalte sich gerne mit ihnen, sagt die junge Frau – aber in der Ukraine gebe es gar keine Altenheime. aia / Foto: aia